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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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Er nahm darauf einige Stücke durch, las
sie mit der größten Aufmerksamkeit, korri¬
girte hier und da, rezitirte sie sich laut vor,
um auch in Sprache und Ausdruck recht ge¬
wandt zu seyn, und steckte dasjenige, wel¬
ches er am meisten geübt, womit er die grö߬
te Ehre einzulegen glaubte, in die Tasche,
als er an einem Morgen hinüber vor die
Gräfin gefordert wurde.

Der Baron hatte ihn versichert, sie wür¬
de allein mit einer guten Freundin seyn.
Als er in das Zimmer trat, kam die Baro¬
nesse von C** ihm mit vieler Freundlichkeit
entgegen, freute sich seine Bekanntschaft zu
machen, und präsentirte ihn der Gräfin, die
sich eben frisiren ließ, und ihn mit freundli¬
chen Worten und Blicken empfing; neben
deren Stuhl er aber leider Philinen knieen
und allerley Thorheiten machen sah. -- Das
schöne Kind, sagte die Baronesse, hat uns

Er nahm darauf einige Stücke durch, las
ſie mit der größten Aufmerkſamkeit, korri¬
girte hier und da, rezitirte ſie ſich laut vor,
um auch in Sprache und Ausdruck recht ge¬
wandt zu ſeyn, und ſteckte dasjenige, wel¬
ches er am meiſten geübt, womit er die grö߬
te Ehre einzulegen glaubte, in die Taſche,
als er an einem Morgen hinüber vor die
Gräfin gefordert wurde.

Der Baron hatte ihn verſichert, ſie wür¬
de allein mit einer guten Freundin ſeyn.
Als er in das Zimmer trat, kam die Baro¬
neſſe von C** ihm mit vieler Freundlichkeit
entgegen, freute ſich ſeine Bekanntſchaft zu
machen, und präſentirte ihn der Gräfin, die
ſich eben friſiren ließ, und ihn mit freundli¬
chen Worten und Blicken empfing; neben
deren Stuhl er aber leider Philinen knieen
und allerley Thorheiten machen ſah. — Das
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[60/0068] Er nahm darauf einige Stücke durch, las ſie mit der größten Aufmerkſamkeit, korri¬ girte hier und da, rezitirte ſie ſich laut vor, um auch in Sprache und Ausdruck recht ge¬ wandt zu ſeyn, und ſteckte dasjenige, wel¬ ches er am meiſten geübt, womit er die grö߬ te Ehre einzulegen glaubte, in die Taſche, als er an einem Morgen hinüber vor die Gräfin gefordert wurde. Der Baron hatte ihn verſichert, ſie wür¬ de allein mit einer guten Freundin ſeyn. Als er in das Zimmer trat, kam die Baro¬ neſſe von C** ihm mit vieler Freundlichkeit entgegen, freute ſich ſeine Bekanntſchaft zu machen, und präſentirte ihn der Gräfin, die ſich eben friſiren ließ, und ihn mit freundli¬ chen Worten und Blicken empfing; neben deren Stuhl er aber leider Philinen knieen und allerley Thorheiten machen ſah. — Das ſchöne Kind, ſagte die Baroneſſe, hat uns

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/68>, abgerufen am 21.11.2024.