ihrer Art vorsetzlich unterhielt und verstärkte. Der Fremde ward nicht als Arzt eingeführt, und betrug sich sehr gefällig und klug. Man sprach über den Zustand ihres Körpers und ihres Geistes, und der neue Freund erzählte manche Geschichten, wie Personen, ohngeach¬ tet einer solchen Kränklichkeit, ein hohes Al¬ ter erreichen könnten, nichts aber sey schäd¬ licher in solchen Fällen, als eine vorsetzliche Erneuerung leidenschaftlicher Empfindungen. Besonders verbarg er nicht, daß er diejenige Person sehr glücklich gefunden habe, die bey einer nicht ganz herzustellenden kränklichen Anlage wahrhaft religiöse Gesinnungen bey sich zu nähren bestimmt gewesen wären. Er sagte das auf eine sehr bescheidene Weise und gleichsam historisch, und versprach dabey sei¬ nen neuen Freunden eine sehr interessante Lektüre an einem Manuscript zu verschaffen, das er aus den Händen einer nunmehr ab¬
ihrer Art vorſetzlich unterhielt und verſtärkte. Der Fremde ward nicht als Arzt eingeführt, und betrug ſich ſehr gefällig und klug. Man ſprach über den Zuſtand ihres Körpers und ihres Geiſtes, und der neue Freund erzählte manche Geſchichten, wie Perſonen, ohngeach¬ tet einer ſolchen Kränklichkeit, ein hohes Al¬ ter erreichen könnten, nichts aber ſey ſchäd¬ licher in ſolchen Fällen, als eine vorſetzliche Erneuerung leidenſchaftlicher Empfindungen. Beſonders verbarg er nicht, daß er diejenige Perſon ſehr glücklich gefunden habe, die bey einer nicht ganz herzuſtellenden kränklichen Anlage wahrhaft religiöſe Geſinnungen bey ſich zu nähren beſtimmt geweſen wären. Er ſagte das auf eine ſehr beſcheidene Weiſe und gleichſam hiſtoriſch, und verſprach dabey ſei¬ nen neuen Freunden eine ſehr intereſſante Lektüre an einem Manuſcript zu verſchaffen, das er aus den Händen einer nunmehr ab¬
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ihrer Art vorſetzlich unterhielt und verſtärkte.
Der Fremde ward nicht als Arzt eingeführt,
und betrug ſich ſehr gefällig und klug. Man
ſprach über den Zuſtand ihres Körpers und
ihres Geiſtes, und der neue Freund erzählte
manche Geſchichten, wie Perſonen, ohngeach¬
tet einer ſolchen Kränklichkeit, ein hohes Al¬
ter erreichen könnten, nichts aber ſey ſchäd¬
licher in ſolchen Fällen, als eine vorſetzliche
Erneuerung leidenſchaftlicher Empfindungen.
Beſonders verbarg er nicht, daß er diejenige
Perſon ſehr glücklich gefunden habe, die bey
einer nicht ganz herzuſtellenden kränklichen
Anlage wahrhaft religiöſe Geſinnungen bey
ſich zu nähren beſtimmt geweſen wären. Er
ſagte das auf eine ſehr beſcheidene Weiſe und
gleichſam hiſtoriſch, und verſprach dabey ſei¬
nen neuen Freunden eine ſehr intereſſante
Lektüre an einem Manuſcript zu verſchaffen,
das er aus den Händen einer nunmehr ab¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/191>, abgerufen am 09.11.2024.
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