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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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Fieber ward stark und ihr Zustand gefähr¬
lich.

Den andern Morgen hatte sie eine ru¬
hige Stunde. Sie ließ Wilhelm rufen und
übergab ihm einen Brief. Dieses Blatt,
sagte sie, wartet schon lange auf diesen Au¬
genblick. Ich fühle daß das Ende meines
Lebens bald heran naht; versprechen Sie mir,
daß Sie es selbst abgeben und daß Sie
durch wenige Worte meine Leiden an dem
Ungetreuen rächen wollen. Er ist nicht fühl¬
los und wenigstens soll ihn mein Tod einen
Augenblick schmerzen.

Wilhelm übernahm den Brief, indem er
sie jedoch tröstete und den Gedanken des To¬
des von ihr entfernen wollte.

Nein, versetzte sie, benehmen Sie mir
nicht meine nächste Hoffnung. Ich habe ihn
lange erwartet und will ihn freudig in die
Arme schließen.

Fieber ward ſtark und ihr Zuſtand gefähr¬
lich.

Den andern Morgen hatte ſie eine ru¬
hige Stunde. Sie ließ Wilhelm rufen und
übergab ihm einen Brief. Dieſes Blatt,
ſagte ſie, wartet ſchon lange auf dieſen Au¬
genblick. Ich fühle daß das Ende meines
Lebens bald heran naht; verſprechen Sie mir,
daß Sie es ſelbſt abgeben und daß Sie
durch wenige Worte meine Leiden an dem
Ungetreuen rächen wollen. Er iſt nicht fühl¬
los und wenigſtens ſoll ihn mein Tod einen
Augenblick ſchmerzen.

Wilhelm übernahm den Brief, indem er
ſie jedoch tröſtete und den Gedanken des To¬
des von ihr entfernen wollte.

Nein, verſetzte ſie, benehmen Sie mir
nicht meine nächſte Hoffnung. Ich habe ihn
lange erwartet und will ihn freudig in die
Arme ſchließen.

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[198/0204] Fieber ward ſtark und ihr Zuſtand gefähr¬ lich. Den andern Morgen hatte ſie eine ru¬ hige Stunde. Sie ließ Wilhelm rufen und übergab ihm einen Brief. Dieſes Blatt, ſagte ſie, wartet ſchon lange auf dieſen Au¬ genblick. Ich fühle daß das Ende meines Lebens bald heran naht; verſprechen Sie mir, daß Sie es ſelbſt abgeben und daß Sie durch wenige Worte meine Leiden an dem Ungetreuen rächen wollen. Er iſt nicht fühl¬ los und wenigſtens ſoll ihn mein Tod einen Augenblick ſchmerzen. Wilhelm übernahm den Brief, indem er ſie jedoch tröſtete und den Gedanken des To¬ des von ihr entfernen wollte. Nein, verſetzte ſie, benehmen Sie mir nicht meine nächſte Hoffnung. Ich habe ihn lange erwartet und will ihn freudig in die Arme ſchließen.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/204>, abgerufen am 09.11.2024.