Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.Mit Gott war ich wieder ein wenig be¬ Die ganze Welt war mir ausser Narcis¬ Mit Gott war ich wieder ein wenig be¬ Die ganze Welt war mir auſſer Narciſ¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0253" n="247"/> <p>Mit Gott war ich wieder ein wenig be¬<lb/> kannter geworden. Er hatte mir ſo einen<lb/> lieben Bräutigam gegeben und dafür wußte<lb/> ich ihm Dank. Die irdiſche Liebe ſelbſt con¬<lb/> centrirte meinen Geiſt und ſetzte ihn in Be¬<lb/> wegung, und meine Beſchäftigung mit Gott<lb/> widerſprach ihr nicht. Ganz natürlich klagte<lb/> ich ihm, was mich bange machte, und bemerkte<lb/> nicht, daß ich ſelbſt das, was mich bange mach¬<lb/> te, wünſchte und begehrte. Ich kam mir ſehr<lb/> ſtark vor und betete nicht etwa: bewahre<lb/> mich vor Verſuchung, über die Verſuchung<lb/> war ich meinen Gedanken nach weit hinaus.<lb/> In dieſem loſen Flitterſchmuck eigner Tugend<lb/> erſchien ich dreiſt vor Gott; er ſtieß mich<lb/> nicht weg, auf die geringſte Bewegung zu<lb/> ihm hinterließ er einen ſanften Eindruck in<lb/> meiner Seele, und dieſer Eindruck bewegte<lb/> mich ihn immer wieder aufzuſuchen.</p><lb/> <p>Die ganze Welt war mir auſſer Narciſ¬<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [247/0253]
Mit Gott war ich wieder ein wenig be¬
kannter geworden. Er hatte mir ſo einen
lieben Bräutigam gegeben und dafür wußte
ich ihm Dank. Die irdiſche Liebe ſelbſt con¬
centrirte meinen Geiſt und ſetzte ihn in Be¬
wegung, und meine Beſchäftigung mit Gott
widerſprach ihr nicht. Ganz natürlich klagte
ich ihm, was mich bange machte, und bemerkte
nicht, daß ich ſelbſt das, was mich bange mach¬
te, wünſchte und begehrte. Ich kam mir ſehr
ſtark vor und betete nicht etwa: bewahre
mich vor Verſuchung, über die Verſuchung
war ich meinen Gedanken nach weit hinaus.
In dieſem loſen Flitterſchmuck eigner Tugend
erſchien ich dreiſt vor Gott; er ſtieß mich
nicht weg, auf die geringſte Bewegung zu
ihm hinterließ er einen ſanften Eindruck in
meiner Seele, und dieſer Eindruck bewegte
mich ihn immer wieder aufzuſuchen.
Die ganze Welt war mir auſſer Narciſ¬
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