und wußte auch, wo ich es noch war; aber die Erkenntniß meiner Gebrechen war ohne alle Angst. Nicht einen Augenblick ist mir eine Furcht vor der Hölle angekommen, ja die Idee eines bösen Geistes und eines Straf- und Quälortes nach dem Tode konnte kei¬ nesweges in dem Kreise meiner Ideen Platz finden. Ich fand die Menschen, die ohne Gott lebten, deren Herz dem Vertrauen und der Liebe gegen den Unsichtbaren zugeschlossen war, schon so unglücklich, daß eine Hölle und äußere Strafen mir eher für sie eine Linde¬ rung zu versprechen, als eine Schärfung der Strafe zu drohen schienen. Ich durfte nur Menschen auf dieser Welt ansehen, die ge¬ hässigen Gefühlen in ihrem Busen Raum geben, die sich gegen das Gute von irgend einer Art verstocken und sich und andern das Schlechte aufdringen wollen, die lieber bey Tage die Augen zuschließen, um nur behaup¬
und wußte auch, wo ich es noch war; aber die Erkenntniß meiner Gebrechen war ohne alle Angſt. Nicht einen Augenblick iſt mir eine Furcht vor der Hölle angekommen, ja die Idee eines böſen Geiſtes und eines Straf- und Quälortes nach dem Tode konnte kei¬ nesweges in dem Kreiſe meiner Ideen Platz finden. Ich fand die Menſchen, die ohne Gott lebten, deren Herz dem Vertrauen und der Liebe gegen den Unſichtbaren zugeſchloſſen war, ſchon ſo unglücklich, daß eine Hölle und äußere Strafen mir eher für ſie eine Linde¬ rung zu verſprechen, als eine Schärfung der Strafe zu drohen ſchienen. Ich durfte nur Menſchen auf dieſer Welt anſehen, die ge¬ häſſigen Gefühlen in ihrem Buſen Raum geben, die ſich gegen das Gute von irgend einer Art verſtocken und ſich und andern das Schlechte aufdringen wollen, die lieber bey Tage die Augen zuſchließen, um nur behaup¬
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und wußte auch, wo ich es noch war; aber
die Erkenntniß meiner Gebrechen war ohne
alle Angſt. Nicht einen Augenblick iſt mir
eine Furcht vor der Hölle angekommen, ja
die Idee eines böſen Geiſtes und eines Straf-
und Quälortes nach dem Tode konnte kei¬
nesweges in dem Kreiſe meiner Ideen Platz
finden. Ich fand die Menſchen, die ohne
Gott lebten, deren Herz dem Vertrauen und
der Liebe gegen den Unſichtbaren zugeſchloſſen
war, ſchon ſo unglücklich, daß eine Hölle und
äußere Strafen mir eher für ſie eine Linde¬
rung zu verſprechen, als eine Schärfung der
Strafe zu drohen ſchienen. Ich durfte nur
Menſchen auf dieſer Welt anſehen, die ge¬
häſſigen Gefühlen in ihrem Buſen Raum
geben, die ſich gegen das Gute von irgend
einer Art verſtocken und ſich und andern das
Schlechte aufdringen wollen, die lieber bey
Tage die Augen zuſchließen, um nur behaup¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/293>, abgerufen am 06.01.2025.
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