liegt diese schöpferische Kraft, die das zu er¬ schaffen vermag, was seyn soll, und uns nicht ruhen und rasten läßt, bis wir es au¬ ßer uns oder an uns auf eine oder die an¬ dere Weise dargestellt haben. Sie, liebe Nichte, haben vielleicht das beste Theil er¬ wählt; Sie haben Ihr sittliches Wesen, Ihre tiefe liebevolle Natur mit sich selbst und mit dem höchsten Wesen übereinstimmend zu machen gesucht, indeß wir andere wohl auch nicht zu tadeln sind, wenn wir den sinnlichen Menschen in seinem Umfange zu kennen und thätig in Einheit zu bringen suchen.
Durch solche Gespräche wurden wir nach und nach vertrauter, und ich erlangte von ihm, daß er mit mir, ohne Condescendenz, wie mit sich selbst sprach. Glauben Sie nicht, sagte der Oheim zu mir, daß ich Ih¬ nen schmeichle, wenn ich Ihre Art zu denken und zu handeln lobe. Ich verehre den Men¬
liegt dieſe ſchöpferiſche Kraft, die das zu er¬ ſchaffen vermag, was ſeyn ſoll, und uns nicht ruhen und raſten läßt, bis wir es au¬ ßer uns oder an uns auf eine oder die an¬ dere Weiſe dargeſtellt haben. Sie, liebe Nichte, haben vielleicht das beſte Theil er¬ wählt; Sie haben Ihr ſittliches Weſen, Ihre tiefe liebevolle Natur mit ſich ſelbſt und mit dem höchſten Weſen übereinſtimmend zu machen geſucht, indeß wir andere wohl auch nicht zu tadeln ſind, wenn wir den ſinnlichen Menſchen in ſeinem Umfange zu kennen und thätig in Einheit zu bringen ſuchen.
Durch ſolche Geſpräche wurden wir nach und nach vertrauter, und ich erlangte von ihm, daß er mit mir, ohne Condescendenz, wie mit ſich ſelbſt ſprach. Glauben Sie nicht, ſagte der Oheim zu mir, daß ich Ih¬ nen ſchmeichle, wenn ich Ihre Art zu denken und zu handeln lobe. Ich verehre den Men¬
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liegt dieſe ſchöpferiſche Kraft, die das zu er¬
ſchaffen vermag, was ſeyn ſoll, und uns
nicht ruhen und raſten läßt, bis wir es au¬
ßer uns oder an uns auf eine oder die an¬
dere Weiſe dargeſtellt haben. Sie, liebe
Nichte, haben vielleicht das beſte Theil er¬
wählt; Sie haben Ihr ſittliches Weſen, Ihre
tiefe liebevolle Natur mit ſich ſelbſt und mit
dem höchſten Weſen übereinſtimmend zu
machen geſucht, indeß wir andere wohl auch
nicht zu tadeln ſind, wenn wir den ſinnlichen
Menſchen in ſeinem Umfange zu kennen und
thätig in Einheit zu bringen ſuchen.
Durch ſolche Geſpräche wurden wir nach
und nach vertrauter, und ich erlangte von
ihm, daß er mit mir, ohne Condescendenz,
wie mit ſich ſelbſt ſprach. Glauben Sie
nicht, ſagte der Oheim zu mir, daß ich Ih¬
nen ſchmeichle, wenn ich Ihre Art zu denken
und zu handeln lobe. Ich verehre den Men¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/337>, abgerufen am 06.01.2025.
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