Mir die Umstände seines Todes zurück zu rufen, der bald darauf erfolgte, ist in mei¬ ner Einsamkeit eine meiner angenehmsten Unterhaltungen, und die sichtbaren Wirkun¬ gen einer höhern Kraft dabey wird mir nie¬ mand wegräsonniren.
Der Tod meines lieben Vaters veränder¬ te meine bisherige Lebensart. Aus dem strengsten Gehorsam, aus der größten Ein¬ schränkung kam ich in die größte Freiheit, und ich genoß ihrer wie einer Speise die man lange entbehrt hat. Sonst war ich sel¬ ten zwey Stunden außer dem Hause, nun verlebte ich kaum Einen Tag in meinem Zimmer. Meine Freunde, bey denen ich sonst nur abgerissene Besuche machen konnte, wollten sich meines anhaltenden Umgangs, so wie ich mich des ihrigen, erfreuen, öfters wurde ich zu Tische geladen, Spazierfahrten und kleine Lustreisen kamen hinzu, und ich
W. Meisters Lehrj. 3. Z
Mir die Umſtände ſeines Todes zurück zu rufen, der bald darauf erfolgte, iſt in mei¬ ner Einſamkeit eine meiner angenehmſten Unterhaltungen, und die ſichtbaren Wirkun¬ gen einer höhern Kraft dabey wird mir nie¬ mand wegräſonniren.
Der Tod meines lieben Vaters veränder¬ te meine bisherige Lebensart. Aus dem ſtrengſten Gehorſam, aus der größten Ein¬ ſchränkung kam ich in die größte Freiheit, und ich genoß ihrer wie einer Speiſe die man lange entbehrt hat. Sonſt war ich ſel¬ ten zwey Stunden außer dem Hauſe, nun verlebte ich kaum Einen Tag in meinem Zimmer. Meine Freunde, bey denen ich ſonſt nur abgeriſſene Beſuche machen konnte, wollten ſich meines anhaltenden Umgangs, ſo wie ich mich des ihrigen, erfreuen, öfters wurde ich zu Tiſche geladen, Spazierfahrten und kleine Luſtreiſen kamen hinzu, und ich
W. Meiſters Lehrj. 3. Z
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Mir die Umſtände ſeines Todes zurück zu
rufen, der bald darauf erfolgte, iſt in mei¬
ner Einſamkeit eine meiner angenehmſten
Unterhaltungen, und die ſichtbaren Wirkun¬
gen einer höhern Kraft dabey wird mir nie¬
mand wegräſonniren.
Der Tod meines lieben Vaters veränder¬
te meine bisherige Lebensart. Aus dem
ſtrengſten Gehorſam, aus der größten Ein¬
ſchränkung kam ich in die größte Freiheit,
und ich genoß ihrer wie einer Speiſe die
man lange entbehrt hat. Sonſt war ich ſel¬
ten zwey Stunden außer dem Hauſe, nun
verlebte ich kaum Einen Tag in meinem
Zimmer. Meine Freunde, bey denen ich
ſonſt nur abgeriſſene Beſuche machen konnte,
wollten ſich meines anhaltenden Umgangs,
ſo wie ich mich des ihrigen, erfreuen, öfters
wurde ich zu Tiſche geladen, Spazierfahrten
und kleine Luſtreiſen kamen hinzu, und ich
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/359>, abgerufen am 04.01.2025.
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