nem doppelten Entzweck herein. Erst macht der Mann, der den Tod des Priamus mit so viel eigner Rührung declamirt, tiefen Ein¬ druck auf den Prinzen selbst; er schärft das Gewissen des jungen schwankenden Man¬ nes: und so wird diese Scene das Prälu¬ dium zu jener, in welcher das kleine Schau¬ spiel so große Wirkung auf den König thut. Hamlet fühlt sich durch den Schau¬ spieler beschämt, der an fremden, an fingir¬ ten Leiden so großen Theil nimmt; und der Gedanke auf eben die Weise einen Versuch auf das Gewissen seines Stiefvaters zu ma¬ chen, wird dadurch bey ihm sogleich erregt. Welch ein herrlicher Monolog ists, der den zweyten Act schließt! Wie freue ich mich darauf, ihn zu rezitiren:
"O! welch ein Schurke, welch ein nie¬ driger Sklave bin ich! -- Ist es nicht un¬ geheuer, daß dieser Schauspieler hier, nur
W. Meisters Lehrj. 3. E
nem doppelten Entzweck herein. Erſt macht der Mann, der den Tod des Priamus mit ſo viel eigner Rührung declamirt, tiefen Ein¬ druck auf den Prinzen ſelbſt; er ſchärft das Gewiſſen des jungen ſchwankenden Man¬ nes: und ſo wird dieſe Scene das Prälu¬ dium zu jener, in welcher das kleine Schau¬ ſpiel ſo große Wirkung auf den König thut. Hamlet fühlt ſich durch den Schau¬ ſpieler beſchämt, der an fremden, an fingir¬ ten Leiden ſo großen Theil nimmt; und der Gedanke auf eben die Weiſe einen Verſuch auf das Gewiſſen ſeines Stiefvaters zu ma¬ chen, wird dadurch bey ihm ſogleich erregt. Welch ein herrlicher Monolog iſts, der den zweyten Act ſchließt! Wie freue ich mich darauf, ihn zu rezitiren:
»O! welch ein Schurke, welch ein nie¬ driger Sklave bin ich! — Iſt es nicht un¬ geheuer, daß dieſer Schauſpieler hier, nur
W. Meiſters Lehrj. 3. E
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nem doppelten Entzweck herein. Erſt macht
der Mann, der den Tod des Priamus mit
ſo viel eigner Rührung declamirt, tiefen Ein¬
druck auf den Prinzen ſelbſt; er ſchärft
das Gewiſſen des jungen ſchwankenden Man¬
nes: und ſo wird dieſe Scene das Prälu¬
dium zu jener, in welcher das kleine Schau¬
ſpiel ſo große Wirkung auf den König
thut. Hamlet fühlt ſich durch den Schau¬
ſpieler beſchämt, der an fremden, an fingir¬
ten Leiden ſo großen Theil nimmt; und der
Gedanke auf eben die Weiſe einen Verſuch
auf das Gewiſſen ſeines Stiefvaters zu ma¬
chen, wird dadurch bey ihm ſogleich erregt.
Welch ein herrlicher Monolog iſts, der den
zweyten Act ſchließt! Wie freue ich mich
darauf, ihn zu rezitiren:
»O! welch ein Schurke, welch ein nie¬
driger Sklave bin ich! — Iſt es nicht un¬
geheuer, daß dieſer Schauſpieler hier, nur
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/71>, abgerufen am 04.01.2025.
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