lein der Zuschauer getäuscht wird, diese erlo¬ gene Wahrheit, die ganz allein Wirkung hervorbringt, wodurch ganz allein die Illusion erzielt wird, wer hat davon einen Begriff?
Lassen Sie uns daher ja nicht zu sehr auf Geist und Empfindung dringen! Das sicherste Mittel ist, wenn wir unsern Freun¬ den mit Gelassenheit zuerst den Sinn des Buchstabens erklären, und ihnen den Ver¬ stand eröffnen. Wer Anlage hat, eilt als¬ dann selbst dem geistreichen und empfin¬ dungsvollen Ausdrucke entgegen; und wer sie nicht hat, wird wenigstens niemals ganz falsch spielen und rezitiren. Ich habe aber bey Schauspielern, so wie überhaupt, keine schlimmere Anmaßung gefunden, als wenn jemand Ansprüche an Geist macht, so lange ihm der Buchstabe noch nicht deutlich und geläufig ist.
W. Meisters Lehrj. 3. F
lein der Zuſchauer getäuſcht wird, dieſe erlo¬ gene Wahrheit, die ganz allein Wirkung hervorbringt, wodurch ganz allein die Illuſion erzielt wird, wer hat davon einen Begriff?
Laſſen Sie uns daher ja nicht zu ſehr auf Geiſt und Empfindung dringen! Das ſicherſte Mittel iſt, wenn wir unſern Freun¬ den mit Gelaſſenheit zuerſt den Sinn des Buchſtabens erklären, und ihnen den Ver¬ ſtand eröffnen. Wer Anlage hat, eilt als¬ dann ſelbſt dem geiſtreichen und empfin¬ dungsvollen Ausdrucke entgegen; und wer ſie nicht hat, wird wenigſtens niemals ganz falſch ſpielen und rezitiren. Ich habe aber bey Schauſpielern, ſo wie überhaupt, keine ſchlimmere Anmaßung gefunden, als wenn jemand Anſprüche an Geiſt macht, ſo lange ihm der Buchſtabe noch nicht deutlich und geläufig iſt.
W. Meiſters Lehrj. 3. F
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lein der Zuſchauer getäuſcht wird, dieſe erlo¬
gene Wahrheit, die ganz allein Wirkung
hervorbringt, wodurch ganz allein die Illuſion
erzielt wird, wer hat davon einen Begriff?
Laſſen Sie uns daher ja nicht zu ſehr
auf Geiſt und Empfindung dringen! Das
ſicherſte Mittel iſt, wenn wir unſern Freun¬
den mit Gelaſſenheit zuerſt den Sinn des
Buchſtabens erklären, und ihnen den Ver¬
ſtand eröffnen. Wer Anlage hat, eilt als¬
dann ſelbſt dem geiſtreichen und empfin¬
dungsvollen Ausdrucke entgegen; und wer
ſie nicht hat, wird wenigſtens niemals ganz
falſch ſpielen und rezitiren. Ich habe aber
bey Schauſpielern, ſo wie überhaupt, keine
ſchlimmere Anmaßung gefunden, als wenn
jemand Anſprüche an Geiſt macht, ſo lange
ihm der Buchſtabe noch nicht deutlich und
geläufig iſt.
W. Meiſters Lehrj. 3. F
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/87>, abgerufen am 04.01.2025.
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