Aber bey ihrer Neigung war ihnen das Mit¬ telmäßige nicht unerträglich, und der herrli¬ che Genuß, mit dem sie das Gute vor und nach kosteten, war über allen Ausdruck. Das Mechanische machte ihnen Freude, das Gei¬ stige entzückte sie, und ihre Neigung war so groß, daß auch eine zerstückelte Probe sie in eine Art von Illusion versetzte. Die Män¬ gel schienen ihnen jederzeit in die Ferne zu treten, das Gute berührte sie wie ein naher Gegenstand. Kurz sie waren Liebhaber, wie sie sich der Künstler in seinem Fache wünscht. Ihre liebste Wanderung war von den Cou¬ lissen ins Parterr, vom Parterr in die Cou¬ lissen, ihr angenehmster Aufenthalt in der Garderobe, ihre emsigste Beschäftigung an der Stellung, Kleidung, Recitation und De¬ clamation der Schauspieler etwas zuzustutzen, ihr lebhaftestes Gespräch über den Effekt, den man hervorgebracht hatte, und ihre be¬
Aber bey ihrer Neigung war ihnen das Mit¬ telmäßige nicht unerträglich, und der herrli¬ che Genuß, mit dem ſie das Gute vor und nach koſteten, war über allen Ausdruck. Das Mechaniſche machte ihnen Freude, das Gei¬ ſtige entzückte ſie, und ihre Neigung war ſo groß, daß auch eine zerſtückelte Probe ſie in eine Art von Illuſion verſetzte. Die Män¬ gel ſchienen ihnen jederzeit in die Ferne zu treten, das Gute berührte ſie wie ein naher Gegenſtand. Kurz ſie waren Liebhaber, wie ſie ſich der Künſtler in ſeinem Fache wünſcht. Ihre liebſte Wanderung war von den Cou¬ liſſen ins Parterr, vom Parterr in die Cou¬ liſſen, ihr angenehmſter Aufenthalt in der Garderobe, ihre emſigſte Beſchäftigung an der Stellung, Kleidung, Recitation und De¬ clamation der Schauſpieler etwas zuzuſtutzen, ihr lebhafteſtes Geſpräch über den Effekt, den man hervorgebracht hatte, und ihre be¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0090"n="84"/>
Aber bey ihrer Neigung war ihnen das Mit¬<lb/>
telmäßige nicht unerträglich, und der herrli¬<lb/>
che Genuß, mit dem ſie das Gute vor und<lb/>
nach koſteten, war über allen Ausdruck. Das<lb/>
Mechaniſche machte ihnen Freude, das Gei¬<lb/>ſtige entzückte ſie, und ihre Neigung war ſo<lb/>
groß, daß auch eine zerſtückelte Probe ſie in<lb/>
eine Art von Illuſion verſetzte. Die Män¬<lb/>
gel ſchienen ihnen jederzeit in die Ferne zu<lb/>
treten, das Gute berührte ſie wie ein naher<lb/>
Gegenſtand. Kurz ſie waren Liebhaber, wie<lb/>ſie ſich der Künſtler in ſeinem Fache wünſcht.<lb/>
Ihre liebſte Wanderung war von den Cou¬<lb/>
liſſen ins Parterr, vom Parterr in die Cou¬<lb/>
liſſen, ihr angenehmſter Aufenthalt in der<lb/>
Garderobe, ihre emſigſte Beſchäftigung an<lb/>
der Stellung, Kleidung, Recitation und De¬<lb/>
clamation der Schauſpieler etwas zuzuſtutzen,<lb/>
ihr lebhafteſtes Geſpräch über den Effekt,<lb/>
den man hervorgebracht hatte, und ihre be¬<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[84/0090]
Aber bey ihrer Neigung war ihnen das Mit¬
telmäßige nicht unerträglich, und der herrli¬
che Genuß, mit dem ſie das Gute vor und
nach koſteten, war über allen Ausdruck. Das
Mechaniſche machte ihnen Freude, das Gei¬
ſtige entzückte ſie, und ihre Neigung war ſo
groß, daß auch eine zerſtückelte Probe ſie in
eine Art von Illuſion verſetzte. Die Män¬
gel ſchienen ihnen jederzeit in die Ferne zu
treten, das Gute berührte ſie wie ein naher
Gegenſtand. Kurz ſie waren Liebhaber, wie
ſie ſich der Künſtler in ſeinem Fache wünſcht.
Ihre liebſte Wanderung war von den Cou¬
liſſen ins Parterr, vom Parterr in die Cou¬
liſſen, ihr angenehmſter Aufenthalt in der
Garderobe, ihre emſigſte Beſchäftigung an
der Stellung, Kleidung, Recitation und De¬
clamation der Schauſpieler etwas zuzuſtutzen,
ihr lebhafteſtes Geſpräch über den Effekt,
den man hervorgebracht hatte, und ihre be¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/90>, abgerufen am 04.01.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.