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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

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zählen, und ich muß erwarten, daß Ihr un¬
gerührt dabey sitzt, daß Ihr nur, um Eure
Neugierde zu befriedigen, mich so sorgsam
erwartet, und daß Ihr Euch jetzt, wie da¬
mals, in Eure kalte Eigenliebe hüllet, wenn
uns das Herz bricht. Aber seht her! so
brachte ich an jenem glücklichen Abend die
Champagnerflasche hervor, so stellte ich die
drey Gläser auf den Tisch, und so fingt Ihr
an, uns mit gutmüthigen Kindergeschichten
zu täuschen und einzuschläfern, wie ich Euch
jetzt mit traurigen Wahrheiten aufklären und
wach erhalten muß.

Wilhelm wußte nicht, was er sagen sollte,
als die Alte wirklich den Stöpsel springen
ließ, und die drey Gläser vollschenkte.

Trinkt! rief sie, nachdem sie ihr schäu¬
mendes Glas schnell ausgeleert hatte, trinkt!
eh' der Geist verraucht! dieses dritte Glas
soll zum Andenken meiner unglücklichen Freun¬

zählen, und ich muß erwarten, daß Ihr un¬
gerührt dabey ſitzt, daß Ihr nur, um Eure
Neugierde zu befriedigen, mich ſo ſorgſam
erwartet, und daß Ihr Euch jetzt, wie da¬
mals, in Eure kalte Eigenliebe hüllet, wenn
uns das Herz bricht. Aber ſeht her! ſo
brachte ich an jenem glücklichen Abend die
Champagnerflaſche hervor, ſo ſtellte ich die
drey Gläſer auf den Tiſch, und ſo fingt Ihr
an, uns mit gutmüthigen Kindergeſchichten
zu täuſchen und einzuſchläfern, wie ich Euch
jetzt mit traurigen Wahrheiten aufklären und
wach erhalten muß.

Wilhelm wußte nicht, was er ſagen ſollte,
als die Alte wirklich den Stöpſel ſpringen
ließ, und die drey Gläſer vollſchenkte.

Trinkt! rief ſie, nachdem ſie ihr ſchäu¬
mendes Glas ſchnell ausgeleert hatte, trinkt!
eh’ der Geiſt verraucht! dieſes dritte Glas
ſoll zum Andenken meiner unglücklichen Freun¬

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[152/0156] zählen, und ich muß erwarten, daß Ihr un¬ gerührt dabey ſitzt, daß Ihr nur, um Eure Neugierde zu befriedigen, mich ſo ſorgſam erwartet, und daß Ihr Euch jetzt, wie da¬ mals, in Eure kalte Eigenliebe hüllet, wenn uns das Herz bricht. Aber ſeht her! ſo brachte ich an jenem glücklichen Abend die Champagnerflaſche hervor, ſo ſtellte ich die drey Gläſer auf den Tiſch, und ſo fingt Ihr an, uns mit gutmüthigen Kindergeſchichten zu täuſchen und einzuſchläfern, wie ich Euch jetzt mit traurigen Wahrheiten aufklären und wach erhalten muß. Wilhelm wußte nicht, was er ſagen ſollte, als die Alte wirklich den Stöpſel ſpringen ließ, und die drey Gläſer vollſchenkte. Trinkt! rief ſie, nachdem ſie ihr ſchäu¬ mendes Glas ſchnell ausgeleert hatte, trinkt! eh’ der Geiſt verraucht! dieſes dritte Glas ſoll zum Andenken meiner unglücklichen Freun¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/156>, abgerufen am 23.11.2024.