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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

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Kindes ließen ihn erst fühlen, welch ein
schwaches Interesse er an den Dingen außer
sich genommen hatte, wie wenig er kannte
und wußte. An diesem Tage, dem vergnüg¬
testen seines Lebens schien auch seine eigne
Bildung erst anzufangen, er fühlte die Noth¬
wendigkeit sich zu belehren, indem er zu leh¬
ren aufgefordert ward.

Jarno und der Abbe hatten sich nicht
wieder sehen lassen; Abends kamen sie, und
brachten einen Fremden mit, Wilhelm ging
ihm mit Erstaunen entgegen, er traute sei¬
nen Augen nicht, es war Werner, der gleich¬
falls einen Augenblick anstand, ihn anzuer¬
kennen. Beyde umarmten sich aufs zärtlichste,
und beyde konnten nicht verbergen, daß sie
sich wechselsweise verändert fanden. Werner
behauptete, sein Freund sey größer, stärker,
gerader, in seinen Wesen gebildeter und in
seinem Betragen angenehmer geworden, --

Kindes ließen ihn erſt fühlen, welch ein
ſchwaches Intereſſe er an den Dingen außer
ſich genommen hatte, wie wenig er kannte
und wußte. An dieſem Tage, dem vergnüg¬
teſten ſeines Lebens ſchien auch ſeine eigne
Bildung erſt anzufangen, er fühlte die Noth¬
wendigkeit ſich zu belehren, indem er zu leh¬
ren aufgefordert ward.

Jarno und der Abbé hatten ſich nicht
wieder ſehen laſſen; Abends kamen ſie, und
brachten einen Fremden mit, Wilhelm ging
ihm mit Erſtaunen entgegen, er traute ſei¬
nen Augen nicht, es war Werner, der gleich¬
falls einen Augenblick anſtand, ihn anzuer¬
kennen. Beyde umarmten ſich aufs zärtlichſte,
und beyde konnten nicht verbergen, daß ſie
ſich wechſelsweiſe verändert fanden. Werner
behauptete, ſein Freund ſey größer, ſtärker,
gerader, in ſeinen Weſen gebildeter und in
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[214/0218] Kindes ließen ihn erſt fühlen, welch ein ſchwaches Intereſſe er an den Dingen außer ſich genommen hatte, wie wenig er kannte und wußte. An dieſem Tage, dem vergnüg¬ teſten ſeines Lebens ſchien auch ſeine eigne Bildung erſt anzufangen, er fühlte die Noth¬ wendigkeit ſich zu belehren, indem er zu leh¬ ren aufgefordert ward. Jarno und der Abbé hatten ſich nicht wieder ſehen laſſen; Abends kamen ſie, und brachten einen Fremden mit, Wilhelm ging ihm mit Erſtaunen entgegen, er traute ſei¬ nen Augen nicht, es war Werner, der gleich¬ falls einen Augenblick anſtand, ihn anzuer¬ kennen. Beyde umarmten ſich aufs zärtlichſte, und beyde konnten nicht verbergen, daß ſie ſich wechſelsweiſe verändert fanden. Werner behauptete, ſein Freund ſey größer, ſtärker, gerader, in ſeinen Weſen gebildeter und in ſeinem Betragen angenehmer geworden, —

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/218>, abgerufen am 24.11.2024.