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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

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wenn ich nicht irre, noch immer zu passen.
Sie haben sich, man fühlt es Ihnen wohl
an, nie verwirrt. Sie waren nie genöthigt
einen Schritt zurück zu thun.

Das bin ich meinem Oheim und dem
Abbe schuldig, versetzte Natalie, die meine
Eigenheiten so gut zu beurteilen wußten.
Ich erinnere mich von Jugend an kaum ei¬
nes Eindrucks als des lebhaftesten, daß ich
überall die Bedürfnisse der Menschen sah,
und ein unüberwindliches Verlangen em¬
pfand sie auszugleichen. Das Kind, das
noch nicht auf seinen Füßen stehen konnte,
der Alte, der sich nicht mehr auf den seini¬
gen erhielt, das Verlangen einer reichen Fa¬
milie nach Kindern, die Unfähigkeit einer ar¬
men die ihrigen zu erhalten, jedes stille Ver¬
langen nach einem Gewerbe, den Trieb zu
einem Talente, die Anlagen zu hundert klei¬
nen nothwendigen Fähigkeiten, diese überall

wenn ich nicht irre, noch immer zu paſſen.
Sie haben ſich, man fühlt es Ihnen wohl
an, nie verwirrt. Sie waren nie genöthigt
einen Schritt zurück zu thun.

Das bin ich meinem Oheim und dem
Abbé ſchuldig, verſetzte Natalie, die meine
Eigenheiten ſo gut zu beurteilen wußten.
Ich erinnere mich von Jugend an kaum ei¬
nes Eindrucks als des lebhafteſten, daß ich
überall die Bedürfniſſe der Menſchen ſah,
und ein unüberwindliches Verlangen em¬
pfand ſie auszugleichen. Das Kind, das
noch nicht auf ſeinen Füßen ſtehen konnte,
der Alte, der ſich nicht mehr auf den ſeini¬
gen erhielt, das Verlangen einer reichen Fa¬
milie nach Kindern, die Unfähigkeit einer ar¬
men die ihrigen zu erhalten, jedes ſtille Ver¬
langen nach einem Gewerbe, den Trieb zu
einem Talente, die Anlagen zu hundert klei¬
nen nothwendigen Fähigkeiten, dieſe überall

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[287/0291] wenn ich nicht irre, noch immer zu paſſen. Sie haben ſich, man fühlt es Ihnen wohl an, nie verwirrt. Sie waren nie genöthigt einen Schritt zurück zu thun. Das bin ich meinem Oheim und dem Abbé ſchuldig, verſetzte Natalie, die meine Eigenheiten ſo gut zu beurteilen wußten. Ich erinnere mich von Jugend an kaum ei¬ nes Eindrucks als des lebhafteſten, daß ich überall die Bedürfniſſe der Menſchen ſah, und ein unüberwindliches Verlangen em¬ pfand ſie auszugleichen. Das Kind, das noch nicht auf ſeinen Füßen ſtehen konnte, der Alte, der ſich nicht mehr auf den ſeini¬ gen erhielt, das Verlangen einer reichen Fa¬ milie nach Kindern, die Unfähigkeit einer ar¬ men die ihrigen zu erhalten, jedes ſtille Ver¬ langen nach einem Gewerbe, den Trieb zu einem Talente, die Anlagen zu hundert klei¬ nen nothwendigen Fähigkeiten, dieſe überall

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/291>, abgerufen am 02.06.2024.