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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

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wieder zu finden, um sie nach Rom zu brin¬
gen, so würde das Kind auf den Stufen
des großen Altars der Peterskirche wieder,
mit seiner schönen frischen Haut umgeben,
vor dem Volke dastehn. Es werde mit sei¬
nen eignen Augen wieder Vater und Mut¬
ter schauen, und der Papst, von der Ein¬
stimmung Gottes und seiner Heiligen über¬
zeugt, werde unter dem lauten Zuruf des
Volks, den Eltern die Sünde vergeben, sie
lossprechen und sie verbinden.

Nun waren ihre Augen und ihre Sorg¬
falt immer nach dem See und dem Ufer ge¬
richtet. Wenn Nachts im Mondschein sich
die Wellen umschlugen, glaubte sie jeder
blinkende Saum treibe ihr Kind hervor, es
mußte jemand zum Scheine hinablaufen, um
es am Ufer aufzufangen.

So war sie auch des Tages unermüdet
an den Stellen, wo das kießichte Ufer flach

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wieder zu finden, um ſie nach Rom zu brin¬
gen, ſo würde das Kind auf den Stufen
des großen Altars der Peterskirche wieder,
mit ſeiner ſchönen friſchen Haut umgeben,
vor dem Volke daſtehn. Es werde mit ſei¬
nen eignen Augen wieder Vater und Mut¬
ter ſchauen, und der Papſt, von der Ein¬
ſtimmung Gottes und ſeiner Heiligen über¬
zeugt, werde unter dem lauten Zuruf des
Volks, den Eltern die Sünde vergeben, ſie
losſprechen und ſie verbinden.

Nun waren ihre Augen und ihre Sorg¬
falt immer nach dem See und dem Ufer ge¬
richtet. Wenn Nachts im Mondſchein ſich
die Wellen umſchlugen, glaubte ſie jeder
blinkende Saum treibe ihr Kind hervor, es
mußte jemand zum Scheine hinablaufen, um
es am Ufer aufzufangen.

So war ſie auch des Tages unermüdet
an den Stellen, wo das kießichte Ufer flach

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[451/0455] wieder zu finden, um ſie nach Rom zu brin¬ gen, ſo würde das Kind auf den Stufen des großen Altars der Peterskirche wieder, mit ſeiner ſchönen friſchen Haut umgeben, vor dem Volke daſtehn. Es werde mit ſei¬ nen eignen Augen wieder Vater und Mut¬ ter ſchauen, und der Papſt, von der Ein¬ ſtimmung Gottes und ſeiner Heiligen über¬ zeugt, werde unter dem lauten Zuruf des Volks, den Eltern die Sünde vergeben, ſie losſprechen und ſie verbinden. Nun waren ihre Augen und ihre Sorg¬ falt immer nach dem See und dem Ufer ge¬ richtet. Wenn Nachts im Mondſchein ſich die Wellen umſchlugen, glaubte ſie jeder blinkende Saum treibe ihr Kind hervor, es mußte jemand zum Scheine hinablaufen, um es am Ufer aufzufangen. So war ſie auch des Tages unermüdet an den Stellen, wo das kießichte Ufer flach F f 2

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 451. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/455>, abgerufen am 22.11.2024.