Er machte darauf eine Beschreibung, wie er sich eine Frau wünsche. Ich ward roth, denn er beschrieb mich, wie ich leibte und lebte. Ich genoß im Stillen meinen Triumph, um so mehr, da ich aus allen Umständen sah, daß er mich persönlich nicht gemeint hatte, daß er mich eigentlich nicht kannte, Ich erinnere mich keiner angenehmern Em¬ pfindung in meinem ganzen Leben, als daß ein Mann, den ich so sehr schätzte, nicht meiner Person, sondern meiner innersten Na¬ tur den Vorzug gab. Welche Belohnung fühlte ich! welche Aufmunterung war mir geworden!
Als sie weg waren, sagte meine würdige Freundin lächelnd zu mir: Schade daß die Männer oft denken und reden, was sie doch nicht zur Ausführung kommen lassen, sonst wäre eine treffliche Partie für meine liebe Therese geradezu gefunden. Ich scherzte über
Er machte darauf eine Beſchreibung, wie er ſich eine Frau wünſche. Ich ward roth, denn er beſchrieb mich, wie ich leibte und lebte. Ich genoß im Stillen meinen Triumph, um ſo mehr, da ich aus allen Umſtänden ſah, daß er mich perſönlich nicht gemeint hatte, daß er mich eigentlich nicht kannte, Ich erinnere mich keiner angenehmern Em¬ pfindung in meinem ganzen Leben, als daß ein Mann, den ich ſo ſehr ſchätzte, nicht meiner Perſon, ſondern meiner innerſten Na¬ tur den Vorzug gab. Welche Belohnung fühlte ich! welche Aufmunterung war mir geworden!
Als ſie weg waren, ſagte meine würdige Freundin lächelnd zu mir: Schade daß die Männer oft denken und reden, was ſie doch nicht zur Ausführung kommen laſſen, ſonſt wäre eine treffliche Partie für meine liebe Thereſe geradezu gefunden. Ich ſcherzte über
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0097"n="93"/><p>Er machte darauf eine Beſchreibung, wie<lb/>
er ſich eine Frau wünſche. Ich ward roth,<lb/>
denn er beſchrieb mich, wie ich leibte und<lb/>
lebte. Ich genoß im Stillen meinen Triumph,<lb/>
um ſo mehr, da ich aus allen Umſtänden<lb/>ſah, daß er mich perſönlich nicht gemeint<lb/>
hatte, daß er mich eigentlich nicht kannte,<lb/>
Ich erinnere mich keiner angenehmern Em¬<lb/>
pfindung in meinem ganzen Leben, als daß<lb/>
ein Mann, den ich ſo ſehr ſchätzte, nicht<lb/>
meiner Perſon, ſondern meiner innerſten Na¬<lb/>
tur den Vorzug gab. Welche Belohnung<lb/>
fühlte ich! welche Aufmunterung war mir<lb/>
geworden!</p><lb/><p>Als ſie weg waren, ſagte meine würdige<lb/>
Freundin lächelnd zu mir: Schade daß die<lb/>
Männer oft denken und reden, was ſie doch<lb/>
nicht zur Ausführung kommen laſſen, ſonſt<lb/>
wäre eine treffliche Partie für meine liebe<lb/>
Thereſe geradezu gefunden. Ich ſcherzte über<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[93/0097]
Er machte darauf eine Beſchreibung, wie
er ſich eine Frau wünſche. Ich ward roth,
denn er beſchrieb mich, wie ich leibte und
lebte. Ich genoß im Stillen meinen Triumph,
um ſo mehr, da ich aus allen Umſtänden
ſah, daß er mich perſönlich nicht gemeint
hatte, daß er mich eigentlich nicht kannte,
Ich erinnere mich keiner angenehmern Em¬
pfindung in meinem ganzen Leben, als daß
ein Mann, den ich ſo ſehr ſchätzte, nicht
meiner Perſon, ſondern meiner innerſten Na¬
tur den Vorzug gab. Welche Belohnung
fühlte ich! welche Aufmunterung war mir
geworden!
Als ſie weg waren, ſagte meine würdige
Freundin lächelnd zu mir: Schade daß die
Männer oft denken und reden, was ſie doch
nicht zur Ausführung kommen laſſen, ſonſt
wäre eine treffliche Partie für meine liebe
Thereſe geradezu gefunden. Ich ſcherzte über
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/97>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.