Goethe, Johann Wolfgang von: Torquato Tasso. Leipzig, 1790.Torquato Tasso Prinzessinn. Mich kann das, Leonore, wenig rühren, Wenn ich bedenke wie man wenig ist, Und was man ist, das blieb man andern schuldig. Die Kenntniß alter Sprachen und des Besten, Was uns die Vorwelt ließ, dank' ich der Mutter; Doch war an Wissenschaft, an rechtem Sinn Ihr keine beyder Töchter jemals gleich; Und soll sich eine ja mit ihr vergleichen, So hat Lucretia gewiß das Recht. Auch kann ich dir versichern hab' ich nie Als Rang und als Besitz betrachtet, was Mir die Natur, was mir das Glück verlieh. Ich freue mich, wenn kluge Männer sprechen, Daß ich verstehen kann wie sie es meinen. Es sey ein Urtheil über einen Mann Der alten Zeit und seiner Thaten Werth; Es sey von einer Wissenschaft die Rede, Die, durch Erfahrung weiter ausgebreitet, Dem Menschen nutzt indem sie ihn erhebt, Torquato Taſſo Prinzeſſinn. Mich kann das, Leonore, wenig rühren, Wenn ich bedenke wie man wenig iſt, Und was man iſt, das blieb man andern ſchuldig. Die Kenntniß alter Sprachen und des Beſten, Was uns die Vorwelt ließ, dank’ ich der Mutter; Doch war an Wiſſenſchaft, an rechtem Sinn Ihr keine beyder Töchter jemals gleich; Und ſoll ſich eine ja mit ihr vergleichen, So hat Lucretia gewiß das Recht. Auch kann ich dir verſichern hab’ ich nie Als Rang und als Beſitz betrachtet, was Mir die Natur, was mir das Glück verlieh. Ich freue mich, wenn kluge Männer ſprechen, Daß ich verſtehen kann wie ſie es meinen. Es ſey ein Urtheil über einen Mann Der alten Zeit und ſeiner Thaten Werth; Es ſey von einer Wiſſenſchaft die Rede, Die, durch Erfahrung weiter ausgebreitet, Dem Menſchen nutzt indem ſie ihn erhebt, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0018" n="10"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Torquato Taſſo</hi> </fw><lb/> <sp who="#PRI"> <speaker><hi rendition="#g">Prinzeſſinn</hi>.</speaker><lb/> <p>Mich kann das, Leonore, wenig rühren,<lb/> Wenn ich bedenke wie man wenig iſt,<lb/> Und was man iſt, das blieb man andern<lb/> ſchuldig.<lb/> Die Kenntniß alter Sprachen und des Beſten,<lb/> Was uns die Vorwelt ließ, dank’ ich der<lb/> Mutter;<lb/> Doch war an Wiſſenſchaft, an rechtem Sinn<lb/> Ihr keine beyder Töchter jemals gleich;<lb/> Und ſoll ſich eine ja mit ihr vergleichen,<lb/> So hat Lucretia gewiß das Recht.<lb/> Auch kann ich dir verſichern hab’ ich nie<lb/> Als Rang und als Beſitz betrachtet, was<lb/> Mir die Natur, was mir das Glück verlieh.<lb/> Ich freue mich, wenn kluge Männer ſprechen,<lb/> Daß ich verſtehen kann wie ſie es meinen.<lb/> Es ſey ein Urtheil über einen Mann<lb/> Der alten Zeit und ſeiner Thaten Werth;<lb/> Es ſey von einer Wiſſenſchaft die Rede,<lb/> Die, durch Erfahrung weiter ausgebreitet,<lb/> Dem Menſchen nutzt indem ſie ihn erhebt,<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [10/0018]
Torquato Taſſo
Prinzeſſinn.
Mich kann das, Leonore, wenig rühren,
Wenn ich bedenke wie man wenig iſt,
Und was man iſt, das blieb man andern
ſchuldig.
Die Kenntniß alter Sprachen und des Beſten,
Was uns die Vorwelt ließ, dank’ ich der
Mutter;
Doch war an Wiſſenſchaft, an rechtem Sinn
Ihr keine beyder Töchter jemals gleich;
Und ſoll ſich eine ja mit ihr vergleichen,
So hat Lucretia gewiß das Recht.
Auch kann ich dir verſichern hab’ ich nie
Als Rang und als Beſitz betrachtet, was
Mir die Natur, was mir das Glück verlieh.
Ich freue mich, wenn kluge Männer ſprechen,
Daß ich verſtehen kann wie ſie es meinen.
Es ſey ein Urtheil über einen Mann
Der alten Zeit und ſeiner Thaten Werth;
Es ſey von einer Wiſſenſchaft die Rede,
Die, durch Erfahrung weiter ausgebreitet,
Dem Menſchen nutzt indem ſie ihn erhebt,
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