Goethe, Johann Wolfgang von: Torquato Tasso. Leipzig, 1790.Ein Schauspiel. Wo jeder sich für einen Schelmen gibt,Und seines Gleichen auch für Schelmen nimmt. Doch wir verkennen nur die andern höflich, Damit sie wieder uns verkennen sollen. Wie lang' verdeckte mir dein heilig Bild Die Buhlerinn, die kleine Künste treibt. Die Maske fällt, Armiden seh' ich nun Entblößt von allen Reitzen -- ja, du bist's! Von dir hat ahndungsvoll mein Lied gesun- gen! Und die verschmitzte kleine Mittlerinn! Wie tief erniedrigt seh' ich sie vor mir! Ich höre nun die leisen Tritte rauschen, Ich kenne nun den Kreis, um den sie schlich. Euch alle kenn' ich! Sey mir das genug! Und wenn das Elend alles mir geraubt, So preis' ich's doch; die Wahrheit lehrt es mich. Ein Schauſpiel. Wo jeder ſich für einen Schelmen gibt,Und ſeines Gleichen auch für Schelmen nimmt. Doch wir verkennen nur die andern höflich, Damit ſie wieder uns verkennen ſollen. Wie lang’ verdeckte mir dein heilig Bild Die Buhlerinn, die kleine Künſte treibt. Die Maske fällt, Armiden ſeh’ ich nun Entblößt von allen Reitzen — ja, du biſt’s! Von dir hat ahndungsvoll mein Lied geſun- gen! Und die verſchmitzte kleine Mittlerinn! Wie tief erniedrigt ſeh’ ich ſie vor mir! Ich höre nun die leiſen Tritte rauſchen, Ich kenne nun den Kreis, um den ſie ſchlich. Euch alle kenn’ ich! Sey mir das genug! Und wenn das Elend alles mir geraubt, So preiſ’ ich’s doch; die Wahrheit lehrt es mich. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <sp who="#TAS"> <p><pb facs="#f0223" n="215"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Ein Schauſpiel</hi>.</fw><lb/> Wo jeder ſich für einen Schelmen gibt,<lb/> Und ſeines Gleichen auch für Schelmen<lb/> nimmt.<lb/> Doch wir verkennen nur die andern höflich,<lb/> Damit ſie wieder uns verkennen ſollen.</p><lb/> <p>Wie lang’ verdeckte mir dein heilig Bild<lb/> Die Buhlerinn, die kleine Künſte treibt.<lb/> Die Maske fällt, Armiden ſeh’ ich nun<lb/> Entblößt von allen Reitzen — ja, du biſt’s!<lb/> Von dir hat ahndungsvoll mein Lied geſun-<lb/> gen!</p><lb/> <p>Und die verſchmitzte kleine Mittlerinn!<lb/> Wie tief erniedrigt ſeh’ ich ſie vor mir!<lb/> Ich höre nun die leiſen Tritte rauſchen,<lb/> Ich kenne nun den Kreis, um den ſie ſchlich.<lb/> Euch alle kenn’ ich! Sey mir das genug!<lb/> Und wenn das Elend alles mir geraubt,<lb/> So preiſ’ ich’s doch; die Wahrheit lehrt es<lb/> mich.</p> </sp><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [215/0223]
Ein Schauſpiel.
Wo jeder ſich für einen Schelmen gibt,
Und ſeines Gleichen auch für Schelmen
nimmt.
Doch wir verkennen nur die andern höflich,
Damit ſie wieder uns verkennen ſollen.
Wie lang’ verdeckte mir dein heilig Bild
Die Buhlerinn, die kleine Künſte treibt.
Die Maske fällt, Armiden ſeh’ ich nun
Entblößt von allen Reitzen — ja, du biſt’s!
Von dir hat ahndungsvoll mein Lied geſun-
gen!
Und die verſchmitzte kleine Mittlerinn!
Wie tief erniedrigt ſeh’ ich ſie vor mir!
Ich höre nun die leiſen Tritte rauſchen,
Ich kenne nun den Kreis, um den ſie ſchlich.
Euch alle kenn’ ich! Sey mir das genug!
Und wenn das Elend alles mir geraubt,
So preiſ’ ich’s doch; die Wahrheit lehrt es
mich.
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