gleich, so wie ihre gelassene Regsamkeit. Und so war ihr Sitzen, Aufstehen, Gehen, Kom¬ men, Hohlen, Bringen, wieder Niedersitzen, ohne einen Schein von Unruhe ein ewiger Wechsel, eine ewige angenehme Bewegung. Dazu kam, daß man sie nicht gehen hörte, so leise trat sie auf.
Diese anständige Dienstfertigkeit Ottiliens machte Charlotten viele Freude. Ein einziges was ihr nicht ganz angemessen vorkam, ver¬ barg sie Ottilien nicht. Es gehört, sagte sie eines Tages zu ihr, unter die lobenswürdi¬ gen Aufmerksamkeiten, daß wir uns schnell bücken, wenn Jemand etwas aus der Hand fallen läßt, und es eilig aufzuheben suchen. Wir bekennen uns dadurch ihm gleichsam dienstpflichtig; nur ist in der größern Welt dabey zu bedenken, wem man eine solche Er¬ gebenheit bezeigt. Gegen Frauen will ich dir darüber keine Gesetze vorschreiben. Du bist jung. Gegen Höhere und Aeltere ist es
gleich, ſo wie ihre gelaſſene Regſamkeit. Und ſo war ihr Sitzen, Aufſtehen, Gehen, Kom¬ men, Hohlen, Bringen, wieder Niederſitzen, ohne einen Schein von Unruhe ein ewiger Wechſel, eine ewige angenehme Bewegung. Dazu kam, daß man ſie nicht gehen hoͤrte, ſo leiſe trat ſie auf.
Dieſe anſtaͤndige Dienſtfertigkeit Ottiliens machte Charlotten viele Freude. Ein einziges was ihr nicht ganz angemeſſen vorkam, ver¬ barg ſie Ottilien nicht. Es gehoͤrt, ſagte ſie eines Tages zu ihr, unter die lobenswuͤrdi¬ gen Aufmerkſamkeiten, daß wir uns ſchnell buͤcken, wenn Jemand etwas aus der Hand fallen laͤßt, und es eilig aufzuheben ſuchen. Wir bekennen uns dadurch ihm gleichſam dienſtpflichtig; nur iſt in der groͤßern Welt dabey zu bedenken, wem man eine ſolche Er¬ gebenheit bezeigt. Gegen Frauen will ich dir daruͤber keine Geſetze vorſchreiben. Du biſt jung. Gegen Hoͤhere und Aeltere iſt es
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0116"n="111"/>
gleich, ſo wie ihre gelaſſene Regſamkeit. Und<lb/>ſo war ihr Sitzen, Aufſtehen, Gehen, Kom¬<lb/>
men, Hohlen, Bringen, wieder Niederſitzen,<lb/>
ohne einen Schein von Unruhe ein ewiger<lb/>
Wechſel, eine ewige angenehme Bewegung.<lb/>
Dazu kam, daß man ſie nicht gehen hoͤrte,<lb/>ſo leiſe trat ſie auf.</p><lb/><p>Dieſe anſtaͤndige Dienſtfertigkeit Ottiliens<lb/>
machte Charlotten viele Freude. Ein einziges<lb/>
was ihr nicht ganz angemeſſen vorkam, ver¬<lb/>
barg ſie Ottilien nicht. Es gehoͤrt, ſagte ſie<lb/>
eines Tages zu ihr, unter die lobenswuͤrdi¬<lb/>
gen Aufmerkſamkeiten, daß wir uns ſchnell<lb/>
buͤcken, wenn Jemand etwas aus der Hand<lb/>
fallen laͤßt, und es eilig aufzuheben ſuchen.<lb/>
Wir bekennen uns dadurch ihm gleichſam<lb/>
dienſtpflichtig; nur iſt in der groͤßern Welt<lb/>
dabey zu bedenken, wem man eine ſolche Er¬<lb/>
gebenheit bezeigt. Gegen Frauen will ich<lb/>
dir daruͤber keine Geſetze vorſchreiben. Du<lb/>
biſt jung. Gegen Hoͤhere und Aeltere iſt es<lb/></p></div></body></text></TEI>
[111/0116]
gleich, ſo wie ihre gelaſſene Regſamkeit. Und
ſo war ihr Sitzen, Aufſtehen, Gehen, Kom¬
men, Hohlen, Bringen, wieder Niederſitzen,
ohne einen Schein von Unruhe ein ewiger
Wechſel, eine ewige angenehme Bewegung.
Dazu kam, daß man ſie nicht gehen hoͤrte,
ſo leiſe trat ſie auf.
Dieſe anſtaͤndige Dienſtfertigkeit Ottiliens
machte Charlotten viele Freude. Ein einziges
was ihr nicht ganz angemeſſen vorkam, ver¬
barg ſie Ottilien nicht. Es gehoͤrt, ſagte ſie
eines Tages zu ihr, unter die lobenswuͤrdi¬
gen Aufmerkſamkeiten, daß wir uns ſchnell
buͤcken, wenn Jemand etwas aus der Hand
fallen laͤßt, und es eilig aufzuheben ſuchen.
Wir bekennen uns dadurch ihm gleichſam
dienſtpflichtig; nur iſt in der groͤßern Welt
dabey zu bedenken, wem man eine ſolche Er¬
gebenheit bezeigt. Gegen Frauen will ich
dir daruͤber keine Geſetze vorſchreiben. Du
biſt jung. Gegen Hoͤhere und Aeltere iſt es
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/116>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.