Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

aus ganz früher Jugend absprach, so behaup¬
tete sie doch besonders einen Fall noch vollkom¬
men gegenwärtig zu haben, wie sie sich ein¬
mal, bey seinem Hereintreten, in Charlottens
Schooß versteckt, nicht aus Furcht, sondern
aus kindischer Ueberraschung. Sie hätte da¬
zu setzen können: weil er so lebhaften Ein¬
druck auf sie gemacht, weil er ihr gar so
wohl gefallen.

Bey solchen Verhältnissen waren manche
Geschäfte, welche die beyden Freunde zusam¬
men früher vorgenommen, gewissermaßen in
Stocken gerathen, so daß sie für nöthig fan¬
den sich wieder eine Uebersicht zu verschaffen,
einige Aufsätze zu entwerfen, Briefe zu schrei¬
ben. Sie bestellten sich deshalb auf ihre
Canzley, wo sie den alten Copisten müßig
fanden. Sie gingen an die Arbeit und ga¬
ben ihm bald zu thun, ohne zu bemerken,
daß sie ihm manches aufbürdeten, was sie
sonst selbst zu verrichten gewohnt waren.

aus ganz fruͤher Jugend abſprach, ſo behaup¬
tete ſie doch beſonders einen Fall noch vollkom¬
men gegenwaͤrtig zu haben, wie ſie ſich ein¬
mal, bey ſeinem Hereintreten, in Charlottens
Schooß verſteckt, nicht aus Furcht, ſondern
aus kindiſcher Ueberraſchung. Sie haͤtte da¬
zu ſetzen koͤnnen: weil er ſo lebhaften Ein¬
druck auf ſie gemacht, weil er ihr gar ſo
wohl gefallen.

Bey ſolchen Verhaͤltniſſen waren manche
Geſchaͤfte, welche die beyden Freunde zuſam¬
men fruͤher vorgenommen, gewiſſermaßen in
Stocken gerathen, ſo daß ſie fuͤr noͤthig fan¬
den ſich wieder eine Ueberſicht zu verſchaffen,
einige Aufſaͤtze zu entwerfen, Briefe zu ſchrei¬
ben. Sie beſtellten ſich deshalb auf ihre
Canzley, wo ſie den alten Copiſten muͤßig
fanden. Sie gingen an die Arbeit und ga¬
ben ihm bald zu thun, ohne zu bemerken,
daß ſie ihm manches aufbuͤrdeten, was ſie
ſonſt ſelbſt zu verrichten gewohnt waren.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0131" n="126"/>
aus ganz fru&#x0364;her Jugend ab&#x017F;prach, &#x017F;o behaup¬<lb/>
tete &#x017F;ie doch be&#x017F;onders einen Fall noch vollkom¬<lb/>
men gegenwa&#x0364;rtig zu haben, wie &#x017F;ie &#x017F;ich ein¬<lb/>
mal, bey &#x017F;einem Hereintreten, in Charlottens<lb/>
Schooß ver&#x017F;teckt, nicht aus Furcht, &#x017F;ondern<lb/>
aus kindi&#x017F;cher Ueberra&#x017F;chung. Sie ha&#x0364;tte da¬<lb/>
zu &#x017F;etzen ko&#x0364;nnen: weil er &#x017F;o lebhaften Ein¬<lb/>
druck auf &#x017F;ie gemacht, weil er ihr gar &#x017F;o<lb/>
wohl gefallen.</p><lb/>
        <p>Bey &#x017F;olchen Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;en waren manche<lb/>
Ge&#x017F;cha&#x0364;fte, welche die beyden Freunde zu&#x017F;am¬<lb/>
men fru&#x0364;her vorgenommen, gewi&#x017F;&#x017F;ermaßen in<lb/>
Stocken gerathen, &#x017F;o daß &#x017F;ie fu&#x0364;r no&#x0364;thig fan¬<lb/>
den &#x017F;ich wieder eine Ueber&#x017F;icht zu ver&#x017F;chaffen,<lb/>
einige Auf&#x017F;a&#x0364;tze zu entwerfen, Briefe zu &#x017F;chrei¬<lb/>
ben. Sie be&#x017F;tellten &#x017F;ich deshalb auf ihre<lb/>
Canzley, wo &#x017F;ie den alten Copi&#x017F;ten mu&#x0364;ßig<lb/>
fanden. Sie gingen an die Arbeit und ga¬<lb/>
ben ihm bald zu thun, ohne zu bemerken,<lb/>
daß &#x017F;ie ihm manches aufbu&#x0364;rdeten, was &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t &#x017F;elb&#x017F;t zu verrichten gewohnt waren.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[126/0131] aus ganz fruͤher Jugend abſprach, ſo behaup¬ tete ſie doch beſonders einen Fall noch vollkom¬ men gegenwaͤrtig zu haben, wie ſie ſich ein¬ mal, bey ſeinem Hereintreten, in Charlottens Schooß verſteckt, nicht aus Furcht, ſondern aus kindiſcher Ueberraſchung. Sie haͤtte da¬ zu ſetzen koͤnnen: weil er ſo lebhaften Ein¬ druck auf ſie gemacht, weil er ihr gar ſo wohl gefallen. Bey ſolchen Verhaͤltniſſen waren manche Geſchaͤfte, welche die beyden Freunde zuſam¬ men fruͤher vorgenommen, gewiſſermaßen in Stocken gerathen, ſo daß ſie fuͤr noͤthig fan¬ den ſich wieder eine Ueberſicht zu verſchaffen, einige Aufſaͤtze zu entwerfen, Briefe zu ſchrei¬ ben. Sie beſtellten ſich deshalb auf ihre Canzley, wo ſie den alten Copiſten muͤßig fanden. Sie gingen an die Arbeit und ga¬ ben ihm bald zu thun, ohne zu bemerken, daß ſie ihm manches aufbuͤrdeten, was ſie ſonſt ſelbſt zu verrichten gewohnt waren.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/131
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/131>, abgerufen am 21.11.2024.