Dagegen ist nichts einzuwenden, sagte der Graf. Eine neue Rolle mag man gern wie¬ der übernehmen, und wenn man die Welt kennt, so sieht man wohl, auch bey dem Ehe¬ stande ist es nur diese entschiedene ewige Dau¬ er zwischen so viel Beweglichem in der Welt, die etwas Ungeschicktes an sich trägt. Einer von meinen Freunden, dessen gute Laune sich meist in Vorschlägen zu neuen Gesetzen her¬ vorthat, behauptete: eine jede Ehe solle nur auf fünf Jahren geschlossen werden. Es sey, sagte er, dieß eine schöne ungrade heilige Zahl und ein solcher Zeitraum eben hinrei¬ chend um sich kennen zu lernen, einige Kin¬ der heran zu bringen, sich zu entzweyen und, was das schönste sey, sich wieder zu versöh¬ nen. Gewöhnlich rief er aus: wie glücklich würde die erste Zeit verstreichen! Zwey, drey Jahre wenigstens gingen vergnüglich hin. Dann würde doch wohl dem einen Theil dar¬ an gelegen seyn, das Verhältniß länger dau¬ ern zu sehen, die Gefälligkeit würde wachsen,
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Dagegen iſt nichts einzuwenden, ſagte der Graf. Eine neue Rolle mag man gern wie¬ der uͤbernehmen, und wenn man die Welt kennt, ſo ſieht man wohl, auch bey dem Ehe¬ ſtande iſt es nur dieſe entſchiedene ewige Dau¬ er zwiſchen ſo viel Beweglichem in der Welt, die etwas Ungeſchicktes an ſich traͤgt. Einer von meinen Freunden, deſſen gute Laune ſich meiſt in Vorſchlaͤgen zu neuen Geſetzen her¬ vorthat, behauptete: eine jede Ehe ſolle nur auf fuͤnf Jahren geſchloſſen werden. Es ſey, ſagte er, dieß eine ſchoͤne ungrade heilige Zahl und ein ſolcher Zeitraum eben hinrei¬ chend um ſich kennen zu lernen, einige Kin¬ der heran zu bringen, ſich zu entzweyen und, was das ſchoͤnſte ſey, ſich wieder zu verſoͤh¬ nen. Gewoͤhnlich rief er aus: wie gluͤcklich wuͤrde die erſte Zeit verſtreichen! Zwey, drey Jahre wenigſtens gingen vergnuͤglich hin. Dann wuͤrde doch wohl dem einen Theil dar¬ an gelegen ſeyn, das Verhaͤltniß laͤnger dau¬ ern zu ſehen, die Gefaͤlligkeit wuͤrde wachſen,
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Dagegen iſt nichts einzuwenden, ſagte der
Graf. Eine neue Rolle mag man gern wie¬
der uͤbernehmen, und wenn man die Welt
kennt, ſo ſieht man wohl, auch bey dem Ehe¬
ſtande iſt es nur dieſe entſchiedene ewige Dau¬
er zwiſchen ſo viel Beweglichem in der Welt,
die etwas Ungeſchicktes an ſich traͤgt. Einer
von meinen Freunden, deſſen gute Laune ſich
meiſt in Vorſchlaͤgen zu neuen Geſetzen her¬
vorthat, behauptete: eine jede Ehe ſolle nur
auf fuͤnf Jahren geſchloſſen werden. Es ſey,
ſagte er, dieß eine ſchoͤne ungrade heilige
Zahl und ein ſolcher Zeitraum eben hinrei¬
chend um ſich kennen zu lernen, einige Kin¬
der heran zu bringen, ſich zu entzweyen und,
was das ſchoͤnſte ſey, ſich wieder zu verſoͤh¬
nen. Gewoͤhnlich rief er aus: wie gluͤcklich
wuͤrde die erſte Zeit verſtreichen! Zwey, drey
Jahre wenigſtens gingen vergnuͤglich hin.
Dann wuͤrde doch wohl dem einen Theil dar¬
an gelegen ſeyn, das Verhaͤltniß laͤnger dau¬
ern zu ſehen, die Gefaͤlligkeit wuͤrde wachſen,
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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/182>, abgerufen am 27.11.2024.
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