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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809.

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dem sie sich zu ihm hinunterneigte und eine
Hand auf seine Schultern legte, rief sie aus:
Daß dieser Augenblick in unserm Leben Epo¬
che mache, können wir nicht verhindern; aber
daß sie unser werth sey, hängt von uns ab.
Sie müssen scheiden, lieber Freund, und Sie
werden scheiden. Der Graf macht Anstalt
Ihr Schicksal zu verbessern; es freut und
schmerzt mich. Ich wollte es verschweigen bis
es gewiß wäre; der Augenblick nöthigt mich
dieß Geheimniß zu entdecken. Nur in sofern
kann ich Ihnen, kann ich mir verzeihen,
wenn wir den Muth haben unsre Lage zu
ändern, da es von uns nicht abhängt unsre
Gesinnung zu ändern. Sie hub ihn auf und
ergriff seinen Arm um sich darauf zu stützen,
und so kamen sie stillschweigend nach dem
Schlosse.

Nun aber stand sie in ihrem Schlafzim¬
mer, wo sie sich als Gattinn Eduards empfin¬
den und betrachten mußte. Ihr kam bey die¬

dem ſie ſich zu ihm hinunterneigte und eine
Hand auf ſeine Schultern legte, rief ſie aus:
Daß dieſer Augenblick in unſerm Leben Epo¬
che mache, koͤnnen wir nicht verhindern; aber
daß ſie unſer werth ſey, haͤngt von uns ab.
Sie muͤſſen ſcheiden, lieber Freund, und Sie
werden ſcheiden. Der Graf macht Anſtalt
Ihr Schickſal zu verbeſſern; es freut und
ſchmerzt mich. Ich wollte es verſchweigen bis
es gewiß waͤre; der Augenblick noͤthigt mich
dieß Geheimniß zu entdecken. Nur in ſofern
kann ich Ihnen, kann ich mir verzeihen,
wenn wir den Muth haben unſre Lage zu
aͤndern, da es von uns nicht abhaͤngt unſre
Geſinnung zu aͤndern. Sie hub ihn auf und
ergriff ſeinen Arm um ſich darauf zu ſtuͤtzen,
und ſo kamen ſie ſtillſchweigend nach dem
Schloſſe.

Nun aber ſtand ſie in ihrem Schlafzim¬
mer, wo ſie ſich als Gattinn Eduards empfin¬
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[220/0225] dem ſie ſich zu ihm hinunterneigte und eine Hand auf ſeine Schultern legte, rief ſie aus: Daß dieſer Augenblick in unſerm Leben Epo¬ che mache, koͤnnen wir nicht verhindern; aber daß ſie unſer werth ſey, haͤngt von uns ab. Sie muͤſſen ſcheiden, lieber Freund, und Sie werden ſcheiden. Der Graf macht Anſtalt Ihr Schickſal zu verbeſſern; es freut und ſchmerzt mich. Ich wollte es verſchweigen bis es gewiß waͤre; der Augenblick noͤthigt mich dieß Geheimniß zu entdecken. Nur in ſofern kann ich Ihnen, kann ich mir verzeihen, wenn wir den Muth haben unſre Lage zu aͤndern, da es von uns nicht abhaͤngt unſre Geſinnung zu aͤndern. Sie hub ihn auf und ergriff ſeinen Arm um ſich darauf zu ſtuͤtzen, und ſo kamen ſie ſtillſchweigend nach dem Schloſſe. Nun aber ſtand ſie in ihrem Schlafzim¬ mer, wo ſie ſich als Gattinn Eduards empfin¬ den und betrachten mußte. Ihr kam bey die¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/225>, abgerufen am 26.11.2024.