Was von dem Augenblick an in der Seele Eduards vorging würde schwer zu schildern seyn. In einem solchen Gedränge treten zuletzt alte Gewohnheiten, alte Neigun¬ gen wieder hervor, um die Zeit zu tödten und den Lebensraum auszufüllen. Jagd und Krieg sind eine solche für den Edelmann immer bereite Aushülfe. Eduard sehnte sich nach äuße¬ rer Gefahr, um der innerlichen das Gleichge¬ wicht zu halten. Er sehnte sich nach dem Unter¬ gang, weil ihm das Daseyn unerträglich zu werden drohte; ja es war ihm ein Trost zu denken, daß er nicht mehr seyn werde und eben dadurch seine Geliebten, seine Freunde glücklich machen könne. Niemand stellte sei¬ nem Willen ein Hinderniß entgegen, da er seinen Entschluß verheimlichte. Mit allen Förmlichkeiten setzte er sein Testament auf: es war ihm eine süße Empfindung, Ottilien das Gut vermachen zu können. Für Char¬ lotten, für das Ungeborne, für den Haupt¬ mann, für seine Dienerschaft war gesorgt.
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Was von dem Augenblick an in der Seele Eduards vorging wuͤrde ſchwer zu ſchildern ſeyn. In einem ſolchen Gedraͤnge treten zuletzt alte Gewohnheiten, alte Neigun¬ gen wieder hervor, um die Zeit zu toͤdten und den Lebensraum auszufuͤllen. Jagd und Krieg ſind eine ſolche fuͤr den Edelmann immer bereite Aushuͤlfe. Eduard ſehnte ſich nach aͤuße¬ rer Gefahr, um der innerlichen das Gleichge¬ wicht zu halten. Er ſehnte ſich nach dem Unter¬ gang, weil ihm das Daſeyn unertraͤglich zu werden drohte; ja es war ihm ein Troſt zu denken, daß er nicht mehr ſeyn werde und eben dadurch ſeine Geliebten, ſeine Freunde gluͤcklich machen koͤnne. Niemand ſtellte ſei¬ nem Willen ein Hinderniß entgegen, da er ſeinen Entſchluß verheimlichte. Mit allen Foͤrmlichkeiten ſetzte er ſein Teſtament auf: es war ihm eine ſuͤße Empfindung, Ottilien das Gut vermachen zu koͤnnen. Fuͤr Char¬ lotten, fuͤr das Ungeborne, fuͤr den Haupt¬ mann, fuͤr ſeine Dienerſchaft war geſorgt.
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Was von dem Augenblick an in der
Seele Eduards vorging wuͤrde ſchwer zu
ſchildern ſeyn. In einem ſolchen Gedraͤnge
treten zuletzt alte Gewohnheiten, alte Neigun¬
gen wieder hervor, um die Zeit zu toͤdten
und den Lebensraum auszufuͤllen. Jagd und
Krieg ſind eine ſolche fuͤr den Edelmann immer
bereite Aushuͤlfe. Eduard ſehnte ſich nach aͤuße¬
rer Gefahr, um der innerlichen das Gleichge¬
wicht zu halten. Er ſehnte ſich nach dem Unter¬
gang, weil ihm das Daſeyn unertraͤglich zu
werden drohte; ja es war ihm ein Troſt zu
denken, daß er nicht mehr ſeyn werde und
eben dadurch ſeine Geliebten, ſeine Freunde
gluͤcklich machen koͤnne. Niemand ſtellte ſei¬
nem Willen ein Hinderniß entgegen, da er
ſeinen Entſchluß verheimlichte. Mit allen
Foͤrmlichkeiten ſetzte er ſein Teſtament auf:
es war ihm eine ſuͤße Empfindung, Ottilien
das Gut vermachen zu koͤnnen. Fuͤr Char¬
lotten, fuͤr das Ungeborne, fuͤr den Haupt¬
mann, fuͤr ſeine Dienerſchaft war geſorgt.
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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/310>, abgerufen am 25.11.2024.
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