daß der Hauptmann mich auf sie aufmerksam machte, als wir vor einem Jahre zurückkamen und sie mit dir bey deiner Tante trafen. Hübsch ist sie, besonders hat sie schöne Augen; aber ich wüßte doch nicht, daß sie den min¬ desten Eindruck auf mich gemacht hätte.
Das ist löblich an dir, sagte Charlotte, denn ich war ja gegenwärtig; und ob sie gleich viel jünger ist als ich, so hatte doch die Ge¬ genwart der ältern Freundinn so viele Reize für dich, daß du über die aufblühende ver¬ sprechende Schönheit hinaussahest. Es gehört auch dieß zu deiner Art zu seyn, deshalb ich so gern das Leben mit dir theile.
Charlotte, so aufrichtig sie zu sprechen schien, verhehlte doch etwas. Sie hatte nämlich damals dem von Reisen zurückkehren¬ den Eduard Ottilien absichtlich vorgeführt, um dieser geliebten Pflegetochter eine so gro¬ ße Parthie zuzuwenden: denn an sich selbst,
daß der Hauptmann mich auf ſie aufmerkſam machte, als wir vor einem Jahre zuruͤckkamen und ſie mit dir bey deiner Tante trafen. Huͤbſch iſt ſie, beſonders hat ſie ſchoͤne Augen; aber ich wuͤßte doch nicht, daß ſie den min¬ deſten Eindruck auf mich gemacht haͤtte.
Das iſt loͤblich an dir, ſagte Charlotte, denn ich war ja gegenwaͤrtig; und ob ſie gleich viel juͤnger iſt als ich, ſo hatte doch die Ge¬ genwart der aͤltern Freundinn ſo viele Reize fuͤr dich, daß du uͤber die aufbluͤhende ver¬ ſprechende Schoͤnheit hinausſaheſt. Es gehoͤrt auch dieß zu deiner Art zu ſeyn, deshalb ich ſo gern das Leben mit dir theile.
Charlotte, ſo aufrichtig ſie zu ſprechen ſchien, verhehlte doch etwas. Sie hatte naͤmlich damals dem von Reiſen zuruͤckkehren¬ den Eduard Ottilien abſichtlich vorgefuͤhrt, um dieſer geliebten Pflegetochter eine ſo gro¬ ße Parthie zuzuwenden: denn an ſich ſelbſt,
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daß der Hauptmann mich auf ſie aufmerkſam
machte, als wir vor einem Jahre zuruͤckkamen
und ſie mit dir bey deiner Tante trafen.
Huͤbſch iſt ſie, beſonders hat ſie ſchoͤne Augen;
aber ich wuͤßte doch nicht, daß ſie den min¬
deſten Eindruck auf mich gemacht haͤtte.
Das iſt loͤblich an dir, ſagte Charlotte,
denn ich war ja gegenwaͤrtig; und ob ſie gleich
viel juͤnger iſt als ich, ſo hatte doch die Ge¬
genwart der aͤltern Freundinn ſo viele Reize
fuͤr dich, daß du uͤber die aufbluͤhende ver¬
ſprechende Schoͤnheit hinausſaheſt. Es gehoͤrt
auch dieß zu deiner Art zu ſeyn, deshalb ich
ſo gern das Leben mit dir theile.
Charlotte, ſo aufrichtig ſie zu ſprechen
ſchien, verhehlte doch etwas. Sie hatte
naͤmlich damals dem von Reiſen zuruͤckkehren¬
den Eduard Ottilien abſichtlich vorgefuͤhrt,
um dieſer geliebten Pflegetochter eine ſo gro¬
ße Parthie zuzuwenden: denn an ſich ſelbſt,
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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/36>, abgerufen am 21.11.2024.
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