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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809.

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Der drollige Mann! rief Eduard aus:
kommt er nicht gerade zur rechten Zeit, Char¬
lotte? Geschwind zurück! befahl er dem Be¬
dienten: sage ihm: es thue Noth, sehr
Noth! Er soll nur absteigen. Versorgt sein
Pferd, führt ihn in den Saal, setzt ihm ein
Frühstück vor; wir kommen gleich.

Laß uns den nächsten Weg nehmen, sagte
er zu seiner Frau, und schlug den Pfad über
den Kirchhof ein, den er sonst zu vermeiden
pflegte. Aber wie verwundert war er, als
er fand, daß Charlotte auch hier für das
Gefühl gesorgt habe. Mit möglichster Scho¬
nung der alten Denkmäler hatte sie alles so
zu vergleichen und zu ordnen gewußt, daß
es ein angenehmer Raum erschien, auf dem
das Auge und die Einbildungskraft gern ver¬
weilte.

Auch dem ältesten Stein hatte sie seine
Ehre gegönnt. Den Jahren nach waren sie

I. 3

Der drollige Mann! rief Eduard aus:
kommt er nicht gerade zur rechten Zeit, Char¬
lotte? Geſchwind zuruͤck! befahl er dem Be¬
dienten: ſage ihm: es thue Noth, ſehr
Noth! Er ſoll nur abſteigen. Verſorgt ſein
Pferd, fuͤhrt ihn in den Saal, ſetzt ihm ein
Fruͤhſtuͤck vor; wir kommen gleich.

Laß uns den naͤchſten Weg nehmen, ſagte
er zu ſeiner Frau, und ſchlug den Pfad uͤber
den Kirchhof ein, den er ſonſt zu vermeiden
pflegte. Aber wie verwundert war er, als
er fand, daß Charlotte auch hier fuͤr das
Gefuͤhl geſorgt habe. Mit moͤglichſter Scho¬
nung der alten Denkmaͤler hatte ſie alles ſo
zu vergleichen und zu ordnen gewußt, daß
es ein angenehmer Raum erſchien, auf dem
das Auge und die Einbildungskraft gern ver¬
weilte.

Auch dem aͤlteſten Stein hatte ſie ſeine
Ehre gegoͤnnt. Den Jahren nach waren ſie

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[33/0038] Der drollige Mann! rief Eduard aus: kommt er nicht gerade zur rechten Zeit, Char¬ lotte? Geſchwind zuruͤck! befahl er dem Be¬ dienten: ſage ihm: es thue Noth, ſehr Noth! Er ſoll nur abſteigen. Verſorgt ſein Pferd, fuͤhrt ihn in den Saal, ſetzt ihm ein Fruͤhſtuͤck vor; wir kommen gleich. Laß uns den naͤchſten Weg nehmen, ſagte er zu ſeiner Frau, und ſchlug den Pfad uͤber den Kirchhof ein, den er ſonſt zu vermeiden pflegte. Aber wie verwundert war er, als er fand, daß Charlotte auch hier fuͤr das Gefuͤhl geſorgt habe. Mit moͤglichſter Scho¬ nung der alten Denkmaͤler hatte ſie alles ſo zu vergleichen und zu ordnen gewußt, daß es ein angenehmer Raum erſchien, auf dem das Auge und die Einbildungskraft gern ver¬ weilte. Auch dem aͤlteſten Stein hatte ſie ſeine Ehre gegoͤnnt. Den Jahren nach waren ſie I. 3

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/38>, abgerufen am 21.11.2024.