Winter den Frühling zu lügen pflegt, durch den großen alten Schloßgarten gegangen war und die hohen Lindenalleen, die regelmäßigen Anlagen, die sich von Eduards Vater herschrie¬ ben, bewundert hatte. Sie waren vortreff¬ lich gediehen, in dem Sinne desjenigen der sie pflanzte, und nun, da sie erst anerkannt und genossen werden sollten, sprach Niemand mehr von ihnen; man besuchte sie kaum und hatte Liebhaberey und Aufwand gegen eine andere Seite hin ins Freye und Weite ge¬ richtet.
Er machte bey seiner Rückkehr Charlot¬ ten die Bemerkung, die sie nicht ungünstig aufnahm. Indem uns das Leben fortzieht, versetzte sie, glauben wir aus uns selbst zu handeln, unsre Thätigkeit, unsre Vergnügun¬ gen zu wählen; aber freylich, wenn wir es genau ansehen, so sind es nur die Plane, die Neigungen der Zeit, die wir mit auszuführen genöthigt sind.
Winter den Fruͤhling zu luͤgen pflegt, durch den großen alten Schloßgarten gegangen war und die hohen Lindenalleen, die regelmaͤßigen Anlagen, die ſich von Eduards Vater herſchrie¬ ben, bewundert hatte. Sie waren vortreff¬ lich gediehen, in dem Sinne desjenigen der ſie pflanzte, und nun, da ſie erſt anerkannt und genoſſen werden ſollten, ſprach Niemand mehr von ihnen; man beſuchte ſie kaum und hatte Liebhaberey und Aufwand gegen eine andere Seite hin ins Freye und Weite ge¬ richtet.
Er machte bey ſeiner Ruͤckkehr Charlot¬ ten die Bemerkung, die ſie nicht unguͤnſtig aufnahm. Indem uns das Leben fortzieht, verſetzte ſie, glauben wir aus uns ſelbſt zu handeln, unſre Thaͤtigkeit, unſre Vergnuͤgun¬ gen zu waͤhlen; aber freylich, wenn wir es genau anſehen, ſo ſind es nur die Plane, die Neigungen der Zeit, die wir mit auszufuͤhren genoͤthigt ſind.
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Winter den Fruͤhling zu luͤgen pflegt, durch
den großen alten Schloßgarten gegangen war
und die hohen Lindenalleen, die regelmaͤßigen
Anlagen, die ſich von Eduards Vater herſchrie¬
ben, bewundert hatte. Sie waren vortreff¬
lich gediehen, in dem Sinne desjenigen der
ſie pflanzte, und nun, da ſie erſt anerkannt
und genoſſen werden ſollten, ſprach Niemand
mehr von ihnen; man beſuchte ſie kaum und
hatte Liebhaberey und Aufwand gegen eine
andere Seite hin ins Freye und Weite ge¬
richtet.
Er machte bey ſeiner Ruͤckkehr Charlot¬
ten die Bemerkung, die ſie nicht unguͤnſtig
aufnahm. Indem uns das Leben fortzieht,
verſetzte ſie, glauben wir aus uns ſelbſt zu
handeln, unſre Thaͤtigkeit, unſre Vergnuͤgun¬
gen zu waͤhlen; aber freylich, wenn wir es
genau anſehen, ſo ſind es nur die Plane, die
Neigungen der Zeit, die wir mit auszufuͤhren
genoͤthigt ſind.
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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/156>, abgerufen am 24.11.2024.
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