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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

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me, wie es mit mir selbst aussieht; ich schau¬
dere über mich selbst: aber wie damals habe
ich auch diesmal in meinem halben Todten¬
schlaf mir meine neue Bahn vorgezeichnet.

Ich bin entschlossen, wie ich's war, und
wozu ich entschlossen bin, mußt du gleich er¬
fahren. Eduardens werd' ich nie! Auf eine
schreckliche Weise hat Gott mir die Augen
geöffnet, in welchem Verbrechen ich befangen
bin. Ich will es büßen; und Niemand ge¬
denke mich von meinem Vorsatz abzubringen!
Darnach, Liebe, Beste, nimm deine Maaßre¬
geln. Laß den Major zurückkommen; schrei¬
be ihm, daß keine Schritte geschehen. Wie
ängstlich war mir, daß ich mich nicht rühren
und regen konnte, als er ging. Ich wollte
auffahren, aufschreyen: du solltest ihn nicht
mit so frevelhaften Hoffnungen entlassen.

Charlotte sah Ottiliens Zustand, sie em¬
pfand ihn; aber sie hoffte durch Zeit und

me, wie es mit mir ſelbſt ausſieht; ich ſchau¬
dere uͤber mich ſelbſt: aber wie damals habe
ich auch diesmal in meinem halben Todten¬
ſchlaf mir meine neue Bahn vorgezeichnet.

Ich bin entſchloſſen, wie ich's war, und
wozu ich entſchloſſen bin, mußt du gleich er¬
fahren. Eduardens werd' ich nie! Auf eine
ſchreckliche Weiſe hat Gott mir die Augen
geoͤffnet, in welchem Verbrechen ich befangen
bin. Ich will es buͤßen; und Niemand ge¬
denke mich von meinem Vorſatz abzubringen!
Darnach, Liebe, Beſte, nimm deine Maaßre¬
geln. Laß den Major zuruͤckkommen; ſchrei¬
be ihm, daß keine Schritte geſchehen. Wie
aͤngſtlich war mir, daß ich mich nicht ruͤhren
und regen konnte, als er ging. Ich wollte
auffahren, aufſchreyen: du ſollteſt ihn nicht
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[269/0272] me, wie es mit mir ſelbſt ausſieht; ich ſchau¬ dere uͤber mich ſelbſt: aber wie damals habe ich auch diesmal in meinem halben Todten¬ ſchlaf mir meine neue Bahn vorgezeichnet. Ich bin entſchloſſen, wie ich's war, und wozu ich entſchloſſen bin, mußt du gleich er¬ fahren. Eduardens werd' ich nie! Auf eine ſchreckliche Weiſe hat Gott mir die Augen geoͤffnet, in welchem Verbrechen ich befangen bin. Ich will es buͤßen; und Niemand ge¬ denke mich von meinem Vorſatz abzubringen! Darnach, Liebe, Beſte, nimm deine Maaßre¬ geln. Laß den Major zuruͤckkommen; ſchrei¬ be ihm, daß keine Schritte geſchehen. Wie aͤngſtlich war mir, daß ich mich nicht ruͤhren und regen konnte, als er ging. Ich wollte auffahren, aufſchreyen: du ſollteſt ihn nicht mit ſo frevelhaften Hoffnungen entlaſſen. Charlotte ſah Ottiliens Zuſtand, ſie em¬ pfand ihn; aber ſie hoffte durch Zeit und

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/272>, abgerufen am 24.11.2024.