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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774.

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chelmörder, dann mein Herz in wilden Schlägen
den bedrängten Sinnen Luft zu machen sucht und
ihre Verwirrung vermehrt. Wilhelm, ich weis oft
nicht, ob ich auf der Welt bin! Und wenn nicht
manchmal die Wehmuth das Uebergewicht nimmt,
und Lotte mir den elenden Trost erlaubt, auf ihrer
Hand meine Beklemmung auszuweinen, so muß
ich fort! Muß hinaus! Und schweife dann weit
im Felde umher. Einen gähen Berg zu klettern,
ist dann meine Freude, durch einen unwegsamen
Wald einen Pfad durchzuarbeiten, durch die Hek-
ken die mich verlezzen, durch die Dornen die mich
zerreissen! Da wird mir's etwas besser! Etwas!
Und wenn ich. für Müdigkeit und Durst manchs-
mal unterwegs liegen bleibe, manchmal in der tie-
sen Nacht, wenn der hohe Vollmond über mir
steht, im einsamen Walde auf einem krumgewachs-
nen Baum mich sezze, um meinen verwundeten
Solen nur einige Linderung zu verschaffen, und
dann in einer ermattenden Ruhe in dem Dämmer-
scheine hinschlummre! O Wilhelm! Die einsame
Wohnung einer Zelle, das härine Gewand und

der
G 3



chelmoͤrder, dann mein Herz in wilden Schlaͤgen
den bedraͤngten Sinnen Luft zu machen ſucht und
ihre Verwirrung vermehrt. Wilhelm, ich weis oft
nicht, ob ich auf der Welt bin! Und wenn nicht
manchmal die Wehmuth das Uebergewicht nimmt,
und Lotte mir den elenden Troſt erlaubt, auf ihrer
Hand meine Beklemmung auszuweinen, ſo muß
ich fort! Muß hinaus! Und ſchweife dann weit
im Felde umher. Einen gaͤhen Berg zu klettern,
iſt dann meine Freude, durch einen unwegſamen
Wald einen Pfad durchzuarbeiten, durch die Hek-
ken die mich verlezzen, durch die Dornen die mich
zerreiſſen! Da wird mir’s etwas beſſer! Etwas!
Und wenn ich. fuͤr Muͤdigkeit und Durſt manchs-
mal unterwegs liegen bleibe, manchmal in der tie-
ſen Nacht, wenn der hohe Vollmond uͤber mir
ſteht, im einſamen Walde auf einem krumgewachs-
nen Baum mich ſezze, um meinen verwundeten
Solen nur einige Linderung zu verſchaffen, und
dann in einer ermattenden Ruhe in dem Daͤmmer-
ſcheine hinſchlummre! O Wilhelm! Die einſame
Wohnung einer Zelle, das haͤrine Gewand und

der
G 3
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[101/0101] chelmoͤrder, dann mein Herz in wilden Schlaͤgen den bedraͤngten Sinnen Luft zu machen ſucht und ihre Verwirrung vermehrt. Wilhelm, ich weis oft nicht, ob ich auf der Welt bin! Und wenn nicht manchmal die Wehmuth das Uebergewicht nimmt, und Lotte mir den elenden Troſt erlaubt, auf ihrer Hand meine Beklemmung auszuweinen, ſo muß ich fort! Muß hinaus! Und ſchweife dann weit im Felde umher. Einen gaͤhen Berg zu klettern, iſt dann meine Freude, durch einen unwegſamen Wald einen Pfad durchzuarbeiten, durch die Hek- ken die mich verlezzen, durch die Dornen die mich zerreiſſen! Da wird mir’s etwas beſſer! Etwas! Und wenn ich. fuͤr Muͤdigkeit und Durſt manchs- mal unterwegs liegen bleibe, manchmal in der tie- ſen Nacht, wenn der hohe Vollmond uͤber mir ſteht, im einſamen Walde auf einem krumgewachs- nen Baum mich ſezze, um meinen verwundeten Solen nur einige Linderung zu verſchaffen, und dann in einer ermattenden Ruhe in dem Daͤmmer- ſcheine hinſchlummre! O Wilhelm! Die einſame Wohnung einer Zelle, das haͤrine Gewand und der G 3

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther01_1774/101>, abgerufen am 04.12.2024.