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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774.

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sich herabzulassen scheinen, um ihren Uebermuth
dem armen Volke desto empfindlicher zu machen.

Jch weiß wohl, daß wir nicht gleich sind, noch
seyn können. Aber ich halte dafür, daß der, der
glaubt nöthig zu haben, vom sogenannten Pöbel
sich zu entfernen, um den Respekt zu erhalten, eben
so tadelhaft ist, als ein Feiger, der sich für seinem
Feinde verbirgt, weil er zu unterliegen fürchtet.

Lezthin kam ich zum Brunnen, und fand ein
junges Dienstmädgen, das ihr Gefäß auf die un-
terste Treppe gesetzt hatte, und sich umsah, ob keine
Camerädin kommen wollte, ihr's auf den Kopf zu
helfen. Jch stieg hinunter und sah sie an. Soll
ich ihr helfen, Jungfer? sagt ich. Sie ward roth
über und über. O nein Herr! sagte sie. -- Ohne
Umstände -- Sie legte ihren Kringen zurechte,
und ich half ihr. Sie dankte und stieg hinauf.




Jch hab allerley Bekanntschaft gemacht, Gesell-
schaft hab ich noch keine gefunden. Jch weiß
nicht, was ich anzügliches für die Menschen haben

muß,



ſich herabzulaſſen ſcheinen, um ihren Uebermuth
dem armen Volke deſto empfindlicher zu machen.

Jch weiß wohl, daß wir nicht gleich ſind, noch
ſeyn koͤnnen. Aber ich halte dafuͤr, daß der, der
glaubt noͤthig zu haben, vom ſogenannten Poͤbel
ſich zu entfernen, um den Reſpekt zu erhalten, eben
ſo tadelhaft iſt, als ein Feiger, der ſich fuͤr ſeinem
Feinde verbirgt, weil er zu unterliegen fuͤrchtet.

Lezthin kam ich zum Brunnen, und fand ein
junges Dienſtmaͤdgen, das ihr Gefaͤß auf die un-
terſte Treppe geſetzt hatte, und ſich umſah, ob keine
Cameraͤdin kommen wollte, ihr’s auf den Kopf zu
helfen. Jch ſtieg hinunter und ſah ſie an. Soll
ich ihr helfen, Jungfer? ſagt ich. Sie ward roth
uͤber und uͤber. O nein Herr! ſagte ſie. — Ohne
Umſtaͤnde — Sie legte ihren Kringen zurechte,
und ich half ihr. Sie dankte und ſtieg hinauf.




Jch hab allerley Bekanntſchaft gemacht, Geſell-
ſchaft hab ich noch keine gefunden. Jch weiß
nicht, was ich anzuͤgliches fuͤr die Menſchen haben

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[13/0013] ſich herabzulaſſen ſcheinen, um ihren Uebermuth dem armen Volke deſto empfindlicher zu machen. Jch weiß wohl, daß wir nicht gleich ſind, noch ſeyn koͤnnen. Aber ich halte dafuͤr, daß der, der glaubt noͤthig zu haben, vom ſogenannten Poͤbel ſich zu entfernen, um den Reſpekt zu erhalten, eben ſo tadelhaft iſt, als ein Feiger, der ſich fuͤr ſeinem Feinde verbirgt, weil er zu unterliegen fuͤrchtet. Lezthin kam ich zum Brunnen, und fand ein junges Dienſtmaͤdgen, das ihr Gefaͤß auf die un- terſte Treppe geſetzt hatte, und ſich umſah, ob keine Cameraͤdin kommen wollte, ihr’s auf den Kopf zu helfen. Jch ſtieg hinunter und ſah ſie an. Soll ich ihr helfen, Jungfer? ſagt ich. Sie ward roth uͤber und uͤber. O nein Herr! ſagte ſie. — Ohne Umſtaͤnde — Sie legte ihren Kringen zurechte, und ich half ihr. Sie dankte und ſtieg hinauf. den 17. May. Jch hab allerley Bekanntſchaft gemacht, Geſell- ſchaft hab ich noch keine gefunden. Jch weiß nicht, was ich anzuͤgliches fuͤr die Menſchen haben muß,

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther01_1774/13>, abgerufen am 21.11.2024.