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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774.

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driger Mensch ist. Meine Mutter möchte mich
gern in Aktivität haben, sagst du, das hat mich
zu lachen gemacht, bin ich jezt nicht auch aktiv?
und ist's im Grund nicht einerley: ob ich Erbsen
zähle oder Linsen? Alles in der Welt läust doch
auf eine Lumperey hinaus, und ein Kerl, der um
anderer willen, ohne daß es seine eigene Leiden-
schaft ist, sich um Geld, oder Ehre, oder sonst was,
abarbeitet, ist immer ein Thor.




Da Dir so viel daran gelegen ist, daß ich mein
Zeichnen nicht vernachlässige, möcht ich lie-
ber die ganze Sache übergehn, als Dir sagen: daß
zeither wenig gethan wird.

Noch nie war ich glüklicher, noch nie meine
Empfindung an der Natur, bis auf's Steingen,
auf's Gräsgen herunter, voller und inniger, und
doch -- ich weis nicht, wie ich mich ausdrükken
soll, meine vorstellende Kraft ist so schwach, alles
schwimmt, schwankt vor meiner Seele, daß ich kei-
nen Umriß pakken kann; aber ich bilde mir ein,

wenn



driger Menſch iſt. Meine Mutter moͤchte mich
gern in Aktivitaͤt haben, ſagſt du, das hat mich
zu lachen gemacht, bin ich jezt nicht auch aktiv?
und iſt’s im Grund nicht einerley: ob ich Erbſen
zaͤhle oder Linſen? Alles in der Welt laͤuſt doch
auf eine Lumperey hinaus, und ein Kerl, der um
anderer willen, ohne daß es ſeine eigene Leiden-
ſchaft iſt, ſich um Geld, oder Ehre, oder ſonſt was,
abarbeitet, iſt immer ein Thor.




Da Dir ſo viel daran gelegen iſt, daß ich mein
Zeichnen nicht vernachlaͤſſige, moͤcht ich lie-
ber die ganze Sache uͤbergehn, als Dir ſagen: daß
zeither wenig gethan wird.

Noch nie war ich gluͤklicher, noch nie meine
Empfindung an der Natur, bis auf’s Steingen,
auf’s Graͤsgen herunter, voller und inniger, und
doch — ich weis nicht, wie ich mich ausdruͤkken
ſoll, meine vorſtellende Kraft iſt ſo ſchwach, alles
ſchwimmt, ſchwankt vor meiner Seele, daß ich kei-
nen Umriß pakken kann; aber ich bilde mir ein,

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[70/0070] driger Menſch iſt. Meine Mutter moͤchte mich gern in Aktivitaͤt haben, ſagſt du, das hat mich zu lachen gemacht, bin ich jezt nicht auch aktiv? und iſt’s im Grund nicht einerley: ob ich Erbſen zaͤhle oder Linſen? Alles in der Welt laͤuſt doch auf eine Lumperey hinaus, und ein Kerl, der um anderer willen, ohne daß es ſeine eigene Leiden- ſchaft iſt, ſich um Geld, oder Ehre, oder ſonſt was, abarbeitet, iſt immer ein Thor. am 24. Juli. Da Dir ſo viel daran gelegen iſt, daß ich mein Zeichnen nicht vernachlaͤſſige, moͤcht ich lie- ber die ganze Sache uͤbergehn, als Dir ſagen: daß zeither wenig gethan wird. Noch nie war ich gluͤklicher, noch nie meine Empfindung an der Natur, bis auf’s Steingen, auf’s Graͤsgen herunter, voller und inniger, und doch — ich weis nicht, wie ich mich ausdruͤkken ſoll, meine vorſtellende Kraft iſt ſo ſchwach, alles ſchwimmt, ſchwankt vor meiner Seele, daß ich kei- nen Umriß pakken kann; aber ich bilde mir ein, wenn

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther01_1774/70>, abgerufen am 04.12.2024.