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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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send Küsse hab ich drauf gedrükt, tausend Grüße
ihm zugewinkt, wenn ich ausgieng, oder nach Hau-
se kam.

Jch habe deinen Vater in einem Zettelgen ge-
beten, meine Leiche zu schüzzen. Auf dem Kirch-
hofe sind zwey Lindenbäume, hinten im Ekke nach
dem Felde zu, dort wünsch ich zu ruhen. Er kann,
er wird das für seinen Freund thun. Bitt ihn
auch. Jch will frommen Christen nicht zumuthen,
ihren Körper neben einem armen Unglüklichen nie-
derzulegen. Ach ich wollte, ihr begrübt mich am
Wege, oder im einsamen Thale, daß Priester und
Levite vor dem bezeichnenden Steine sich segnend
vorüberging, und der Samariter eine Thräne weinte.

Hier Lotte! Jch schaudere nicht den kalten
schröklichen Kelch zu fassen, aus dem ich den Tau-
mel des Todes trinken soll! Du reichtest mir ihn,
und ich zage nicht. All! All! so sind all die Wün-
sche und Hoffnungen meines Lebens erfüllt! So
kalt, so starr an der ehernen Pforte des Todes
anzuklopfen.

Daß ich des Glüks hätte theilhaftig werden
können! Für dich zu sterben, Lotte, für dich mich
hinzugeben. Jch wollte muthig, ich wollte freudig

sterben,



ſend Kuͤſſe hab ich drauf gedruͤkt, tauſend Gruͤße
ihm zugewinkt, wenn ich ausgieng, oder nach Hau-
ſe kam.

Jch habe deinen Vater in einem Zettelgen ge-
beten, meine Leiche zu ſchuͤzzen. Auf dem Kirch-
hofe ſind zwey Lindenbaͤume, hinten im Ekke nach
dem Felde zu, dort wuͤnſch ich zu ruhen. Er kann,
er wird das fuͤr ſeinen Freund thun. Bitt ihn
auch. Jch will frommen Chriſten nicht zumuthen,
ihren Koͤrper neben einem armen Ungluͤklichen nie-
derzulegen. Ach ich wollte, ihr begruͤbt mich am
Wege, oder im einſamen Thale, daß Prieſter und
Levite vor dem bezeichnenden Steine ſich ſegnend
voruͤberging, und der Samariter eine Thraͤne weinte.

Hier Lotte! Jch ſchaudere nicht den kalten
ſchroͤklichen Kelch zu faſſen, aus dem ich den Tau-
mel des Todes trinken ſoll! Du reichteſt mir ihn,
und ich zage nicht. All! All! ſo ſind all die Wuͤn-
ſche und Hoffnungen meines Lebens erfuͤllt! So
kalt, ſo ſtarr an der ehernen Pforte des Todes
anzuklopfen.

Daß ich des Gluͤks haͤtte theilhaftig werden
koͤnnen! Fuͤr dich zu ſterben, Lotte, fuͤr dich mich
hinzugeben. Jch wollte muthig, ich wollte freudig

ſterben,
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[220/0108] ſend Kuͤſſe hab ich drauf gedruͤkt, tauſend Gruͤße ihm zugewinkt, wenn ich ausgieng, oder nach Hau- ſe kam. Jch habe deinen Vater in einem Zettelgen ge- beten, meine Leiche zu ſchuͤzzen. Auf dem Kirch- hofe ſind zwey Lindenbaͤume, hinten im Ekke nach dem Felde zu, dort wuͤnſch ich zu ruhen. Er kann, er wird das fuͤr ſeinen Freund thun. Bitt ihn auch. Jch will frommen Chriſten nicht zumuthen, ihren Koͤrper neben einem armen Ungluͤklichen nie- derzulegen. Ach ich wollte, ihr begruͤbt mich am Wege, oder im einſamen Thale, daß Prieſter und Levite vor dem bezeichnenden Steine ſich ſegnend voruͤberging, und der Samariter eine Thraͤne weinte. Hier Lotte! Jch ſchaudere nicht den kalten ſchroͤklichen Kelch zu faſſen, aus dem ich den Tau- mel des Todes trinken ſoll! Du reichteſt mir ihn, und ich zage nicht. All! All! ſo ſind all die Wuͤn- ſche und Hoffnungen meines Lebens erfuͤllt! So kalt, ſo ſtarr an der ehernen Pforte des Todes anzuklopfen. Daß ich des Gluͤks haͤtte theilhaftig werden koͤnnen! Fuͤr dich zu ſterben, Lotte, fuͤr dich mich hinzugeben. Jch wollte muthig, ich wollte freudig ſterben,

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther02_1774/108>, abgerufen am 04.12.2024.