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[Goethe, Johann Wolfgang von]: [Rezension zu:] […] Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder, herausgegeben von Achim von Arnim und Clemens Brentano. In: Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung, Jg. 3 (1806), Nr. 18, 21. Januar, Sp. 137–144 und Nr. 19, 22. Januar, Sp. 145–148.

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Der Fähndrich, (358.) Mit Eigenheit; doch hätte die Gewalt, welche der Fähndrich dem Mädchen angethan, müssen ausgedrückt werden, sonst hat es keinen Sinn, daß er hängen soll.
Gegen die Schweizer Bauern, (360.) Tüchtige und doch poetische Gegenwart. Der Zug, daß ein Bauer das Glas in den Rhein wirft, weil er in dessen Farbenspiel den Pfauenschwanz zu sehen glaubt, ist höchst revolutionär und treffend.
Kinder still zu machen, (362.) Recht artig und kindlich.
Gesellschaftslied, (363.) In Tillen-Art kapital.
Das Gnadenbild, (366.) Ist hübsch, wenn man sich den Zustand um einen solchen Wallfahrtsort vergegenwärtigen mag.
Geh du nur hin, (371.) Frank und frech.
Verlorne Mühe, (372.) Treffliche Darstellung weiblicher Bethulichkeit und täppischen Männerwesens.
Starke Einbildungskraft, (373.) Zarter Hauch, kaum festzuhalten.
Die schlechte Liebste, (374.) Innig gefühlt und recht gedacht.
Maria auf der Reise, (375.) Hübsch und zart, wie die Katholiken mit ihren mythologischen Figuren das gläubige Publicum gar zweckmäßig zu beschäftigen und zu belehren wissen.
Der geadelte Bauer, (376.) Recht gut gesehen und mit Verdruß launisch dargestellt.
Abschiedszeichen, (378.) Recht lieblich.
Die Ausgleichung, (379.) Die bekannte Fabel vom Becher und Mantel, kurz und bedeutend genug dargestellt.
Petrus, (382.) Scheint uns gezwungen freygeistisch.
Gott grüß euch Alter, (384.) Modern und sentimental, aber nicht zu schelten.
Schwere Wacht, (386.) Zieht schon in das umständliche, klang- und sangreiche Minnesänger-Wesen herüber.
[Spaltenumbruch]
1) Jungfrau und Wächter. Gar liebreich, doch auch zu umständlich.
2) Der lustige Geselle. Ist uns lieber als die vorhergehenden.
3) Variation. Macht hier zu großen Contrast: denn es gehört zu der tiefen, wunderlichen deutschen Balladenart.
4) Beschluß. Paßt nicht in diese Reihe.
Der Pilger und die fromme Dame, (396.) Ein guter, wohl dargestellter Schwank
Kaiserliches Hochzeitlied, (397.) Barbarisch-pedantisch, und doch nicht ohne poetisches Verdienst.
Antwort Mariä auf den Gruß der Engel, (406.) Das liebenswürdigste von allen christ-katholischen Gedichten in diesem Bande.
Staufenberg und die Meerfeye, (407.) Recht lobenswerthe Fabel, gedrängt genug vorgetragen, klug vertheilt. Würde zu kurz scheinen, wenn man nicht an lauter kürzere Gedichte gewöhnt wäre.
Des Schneiders Feyerabend, (418.) In der Holzschnittsart, so gut, als man es nur wünschen kann.

Mit dieser Charakterisirung aus dem Stegreife: denn wie könnte man sie anders unternehmen? gedenken wir Niemand vorzugreifen, denen am wenigsten, die durch wahrhaft lyrischen Genuß und ächte Theilnahme einer sich ausdehnenden Brust viel mehr von diesen Gedichten fassen werden, als in irgend einer lakonischen Bestimmung des mehr oder minderen Bedeutens geleistet werden kann. Indessen sey uns über den Werth des Ganzen noch Folgendes zu sagen vergönnt.

Diese Art Gedichte, die wir seit Jahren Volkslieder zu nennen pflegen, ob sie gleich eigentlich weder vom Volk, noch fürs Volk gedichtet sind, sondern weil sie so etwas Stämmiges, Tüchtiges in sich haben und begreifen, daß der kern- und stammhafte Theil der Nationen dergleichen Dinge faßt, behält, sich zueignet und mit unter fortpflanzt - dergleichen Gedichte sind so wahre Poesie, als sie irgend nur seyn kann; sie haben einen unglaublichen Reiz, selbst für uns, die wir auf einer höheren Stufe der Bildung stehen, wie der Anblick und die Erinnerung der Jugend fürs Alter hat. Hier ist die Kunst mit der Natur im Conflict und eben dieses Werden, dieses wechselseitige Wirken, dieses Streben scheint ein Ziel zu suchen, und es hat sein Ziel schon erreicht. Das wahre dichterische Genie, wo es auftritt, ist in sich vollendet, mag ihm Unvollkommenheit der Sprache, der
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Der Fähndrich, (358.) Mit Eigenheit; doch hätte die Gewalt, welche der Fähndrich dem Mädchen angethan, müssen ausgedrückt werden, sonst hat es keinen Sinn, daß er hängen soll.
Gegen die Schweizer Bauern, (360.) Tüchtige und doch poetische Gegenwart. Der Zug, daß ein Bauer das Glas in den Rhein wirft, weil er in dessen Farbenspiel den Pfauenschwanz zu sehen glaubt, ist höchst revolutionär und treffend.
Kinder still zu machen, (362.) Recht artig und kindlich.
Gesellschaftslied, (363.) In Tillen-Art kapital.
Das Gnadenbild, (366.) Ist hübsch, wenn man sich den Zustand um einen solchen Wallfahrtsort vergegenwärtigen mag.
Geh du nur hin, (371.) Frank und frech.
Verlorne Mühe, (372.) Treffliche Darstellung weiblicher Bethulichkeit und täppischen Männerwesens.
Starke Einbildungskraft, (373.) Zarter Hauch, kaum festzuhalten.
Die schlechte Liebste, (374.) Innig gefühlt und recht gedacht.
Maria auf der Reise, (375.) Hübsch und zart, wie die Katholiken mit ihren mythologischen Figuren das gläubige Publicum gar zweckmäßig zu beschäftigen und zu belehren wissen.
Der geadelte Bauer, (376.) Recht gut gesehen und mit Verdruß launisch dargestellt.
Abschiedszeichen, (378.) Recht lieblich.
Die Ausgleichung, (379.) Die bekannte Fabel vom Becher und Mantel, kurz und bedeutend genug dargestellt.
Petrus, (382.) Scheint uns gezwungen freygeistisch.
Gott grüß euch Alter, (384.) Modern und sentimental, aber nicht zu schelten.
Schwere Wacht, (386.) Zieht schon in das umständliche, klang- und sangreiche Minnesänger-Wesen herüber.
[Spaltenumbruch]
1) Jungfrau und Wächter. Gar liebreich, doch auch zu umständlich.
2) Der lustige Geselle. Ist uns lieber als die vorhergehenden.
3) Variation. Macht hier zu großen Contrast: denn es gehört zu der tiefen, wunderlichen deutschen Balladenart.
4) Beschluß. Paßt nicht in diese Reihe.
Der Pilger und die fromme Dame, (396.) Ein guter, wohl dargestellter Schwank
Kaiserliches Hochzeitlied, (397.) Barbarisch-pedantisch, und doch nicht ohne poetisches Verdienst.
Antwort Mariä auf den Gruß der Engel, (406.) Das liebenswürdigste von allen christ-katholischen Gedichten in diesem Bande.
Staufenberg und die Meerfeye, (407.) Recht lobenswerthe Fabel, gedrängt genug vorgetragen, klug vertheilt. Würde zu kurz scheinen, wenn man nicht an lauter kürzere Gedichte gewöhnt wäre.
Des Schneiders Feyerabend, (418.) In der Holzschnittsart, so gut, als man es nur wünschen kann.

Mit dieser Charakterisirung aus dem Stegreife: denn wie könnte man sie anders unternehmen? gedenken wir Niemand vorzugreifen, denen am wenigsten, die durch wahrhaft lyrischen Genuß und ächte Theilnahme einer sich ausdehnenden Brust viel mehr von diesen Gedichten fassen werden, als in irgend einer lakonischen Bestimmung des mehr oder minderen Bedeutens geleistet werden kann. Indessen sey uns über den Werth des Ganzen noch Folgendes zu sagen vergönnt.

Diese Art Gedichte, die wir seit Jahren Volkslieder zu nennen pflegen, ob sie gleich eigentlich weder vom Volk, noch fürs Volk gedichtet sind, sondern weil sie so etwas Stämmiges, Tüchtiges in sich haben und begreifen, daß der kern- und stammhafte Theil der Nationen dergleichen Dinge faßt, behält, sich zueignet und mit unter fortpflanzt – dergleichen Gedichte sind so wahre Poesie, als sie irgend nur seyn kann; sie haben einen unglaublichen Reiz, selbst für uns, die wir auf einer höheren Stufe der Bildung stehen, wie der Anblick und die Erinnerung der Jugend fürs Alter hat. Hier ist die Kunst mit der Natur im Conflict und eben dieses Werden, dieses wechselseitige Wirken, dieses Streben scheint ein Ziel zu suchen, und es hat sein Ziel schon erreicht. Das wahre dichterische Genie, wo es auftritt, ist in sich vollendet, mag ihm Unvollkommenheit der Sprache, der
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[145-146/0006] ________ Der Fähndrich, (358.) Mit Eigenheit; doch hätte die Gewalt, welche der Fähndrich dem Mädchen angethan, müssen ausgedrückt werden, sonst hat es keinen Sinn, daß er hängen soll. Gegen die Schweizer Bauern, (360.) Tüchtige und doch poetische Gegenwart. Der Zug, daß ein Bauer das Glas in den Rhein wirft, weil er in dessen Farbenspiel den Pfauenschwanz zu sehen glaubt, ist höchst revolutionär und treffend. Kinder still zu machen, (362.) Recht artig und kindlich. Gesellschaftslied, (363.) In Tillen-Art kapital. Das Gnadenbild, (366.) Ist hübsch, wenn man sich den Zustand um einen solchen Wallfahrtsort vergegenwärtigen mag. Geh du nur hin, (371.) Frank und frech. Verlorne Mühe, (372.) Treffliche Darstellung weiblicher Bethulichkeit und täppischen Männerwesens. Starke Einbildungskraft, (373.) Zarter Hauch, kaum festzuhalten. Die schlechte Liebste, (374.) Innig gefühlt und recht gedacht. Maria auf der Reise, (375.) Hübsch und zart, wie die Katholiken mit ihren mythologischen Figuren das gläubige Publicum gar zweckmäßig zu beschäftigen und zu belehren wissen. Der geadelte Bauer, (376.) Recht gut gesehen und mit Verdruß launisch dargestellt. Abschiedszeichen, (378.) Recht lieblich. Die Ausgleichung, (379.) Die bekannte Fabel vom Becher und Mantel, kurz und bedeutend genug dargestellt. Petrus, (382.) Scheint uns gezwungen freygeistisch. Gott grüß euch Alter, (384.) Modern und sentimental, aber nicht zu schelten. Schwere Wacht, (386.) Zieht schon in das umständliche, klang- und sangreiche Minnesänger-Wesen herüber. 1) Jungfrau und Wächter. Gar liebreich, doch auch zu umständlich. 2) Der lustige Geselle. Ist uns lieber als die vorhergehenden. 3) Variation. Macht hier zu großen Contrast: denn es gehört zu der tiefen, wunderlichen deutschen Balladenart. 4) Beschluß. Paßt nicht in diese Reihe. Der Pilger und die fromme Dame, (396.) Ein guter, wohl dargestellter Schwank Kaiserliches Hochzeitlied, (397.) Barbarisch-pedantisch, und doch nicht ohne poetisches Verdienst. Antwort Mariä auf den Gruß der Engel, (406.) Das liebenswürdigste von allen christ-katholischen Gedichten in diesem Bande. Staufenberg und die Meerfeye, (407.) Recht lobenswerthe Fabel, gedrängt genug vorgetragen, klug vertheilt. Würde zu kurz scheinen, wenn man nicht an lauter kürzere Gedichte gewöhnt wäre. Des Schneiders Feyerabend, (418.) In der Holzschnittsart, so gut, als man es nur wünschen kann. Mit dieser Charakterisirung aus dem Stegreife: denn wie könnte man sie anders unternehmen? gedenken wir Niemand vorzugreifen, denen am wenigsten, die durch wahrhaft lyrischen Genuß und ächte Theilnahme einer sich ausdehnenden Brust viel mehr von diesen Gedichten fassen werden, als in irgend einer lakonischen Bestimmung des mehr oder minderen Bedeutens geleistet werden kann. Indessen sey uns über den Werth des Ganzen noch Folgendes zu sagen vergönnt. Diese Art Gedichte, die wir seit Jahren Volkslieder zu nennen pflegen, ob sie gleich eigentlich weder vom Volk, noch fürs Volk gedichtet sind, sondern weil sie so etwas Stämmiges, Tüchtiges in sich haben und begreifen, daß der kern- und stammhafte Theil der Nationen dergleichen Dinge faßt, behält, sich zueignet und mit unter fortpflanzt – dergleichen Gedichte sind so wahre Poesie, als sie irgend nur seyn kann; sie haben einen unglaublichen Reiz, selbst für uns, die wir auf einer höheren Stufe der Bildung stehen, wie der Anblick und die Erinnerung der Jugend fürs Alter hat. Hier ist die Kunst mit der Natur im Conflict und eben dieses Werden, dieses wechselseitige Wirken, dieses Streben scheint ein Ziel zu suchen, und es hat sein Ziel schon erreicht. Das wahre dichterische Genie, wo es auftritt, ist in sich vollendet, mag ihm Unvollkommenheit der Sprache, der

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Zitationshilfe: [Goethe, Johann Wolfgang von]: [Rezension zu:] […] Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder, herausgegeben von Achim von Arnim und Clemens Brentano. In: Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung, Jg. 3 (1806), Nr. 18, 21. Januar, Sp. 137–144 und Nr. 19, 22. Januar, Sp. 145–148, S. 145-146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wunderhorn_1806/6>, abgerufen am 24.11.2024.