Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goeze, Johann August Ephraim: Zeitvertreib und Unterricht für Kinder vom dritten bis zehnten Jahr in kleinen Geschichten. Bd. 2. Leipzig, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

gen anderer guten Menschen. Die Ehre und
der Ruhm der halben Stadt. Wenn man ein
recht artiges, liebes Kind beschreiben wollte,
so wurde Lottchen genannt. Es wurde oft
in Gesellschaften gebeten, weil es die Leute
gar zu gern bey sich haben und leiden moch-
ten. Andere Kinder mußten es oft von ih-
ren Aeltern hören, daß sie nicht so artig als
Lottchen wären.

Aber das Ding kehrte sich gewaltig um.
Lottchen wurde mit einemmale wieder so un-
artig, daß es alle Tage eine neue üble Ge-
wohnheit annahm, und durch seine schlechte
Sitten und Aufführung jetzo desto unleidlicher
wurde, je artiger es vorher gewesen war.

Woher mochte das wohl kommen? Ganz
gewiß zuerst davon, daß man das Kind zu viel
gelobt
, und durch das viele Loben verdorben
hatte. Denn nun dachte es schon, es sey voll-
kommen, es sey artig genug, und dürfe nicht

besser
Q 4

gen anderer guten Menſchen. Die Ehre und
der Ruhm der halben Stadt. Wenn man ein
recht artiges, liebes Kind beſchreiben wollte,
ſo wurde Lottchen genannt. Es wurde oft
in Geſellſchaften gebeten, weil es die Leute
gar zu gern bey ſich haben und leiden moch-
ten. Andere Kinder mußten es oft von ih-
ren Aeltern hoͤren, daß ſie nicht ſo artig als
Lottchen waͤren.

Aber das Ding kehrte ſich gewaltig um.
Lottchen wurde mit einemmale wieder ſo un-
artig, daß es alle Tage eine neue uͤble Ge-
wohnheit annahm, und durch ſeine ſchlechte
Sitten und Auffuͤhrung jetzo deſto unleidlicher
wurde, je artiger es vorher geweſen war.

Woher mochte das wohl kommen? Ganz
gewiß zuerſt davon, daß man das Kind zu viel
gelobt
, und durch das viele Loben verdorben
hatte. Denn nun dachte es ſchon, es ſey voll-
kommen, es ſey artig genug, und duͤrfe nicht

beſſer
Q 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0269" n="247"/>
gen anderer guten Men&#x017F;chen. Die Ehre und<lb/>
der Ruhm der halben Stadt. Wenn man ein<lb/>
recht artiges, liebes Kind be&#x017F;chreiben wollte,<lb/>
&#x017F;o wurde <hi rendition="#fr">Lottchen</hi> genannt. Es wurde oft<lb/>
in Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften gebeten, weil es die Leute<lb/>
gar zu gern bey &#x017F;ich haben und leiden moch-<lb/>
ten. Andere Kinder mußten es oft von ih-<lb/>
ren Aeltern ho&#x0364;ren, daß &#x017F;ie nicht &#x017F;o artig als<lb/><hi rendition="#fr">Lottchen</hi> wa&#x0364;ren.</p><lb/>
        <p>Aber das Ding kehrte &#x017F;ich gewaltig um.<lb/><hi rendition="#fr">Lottchen</hi> wurde mit einemmale wieder &#x017F;o un-<lb/>
artig, daß es alle Tage eine neue u&#x0364;ble Ge-<lb/>
wohnheit annahm, und durch &#x017F;eine &#x017F;chlechte<lb/>
Sitten und Auffu&#x0364;hrung jetzo de&#x017F;to unleidlicher<lb/>
wurde, je artiger es vorher gewe&#x017F;en war.</p><lb/>
        <p>Woher mochte das wohl kommen? Ganz<lb/>
gewiß zuer&#x017F;t davon, daß man das Kind <hi rendition="#fr">zu viel<lb/>
gelobt</hi>, und durch das viele Loben verdorben<lb/>
hatte. Denn nun dachte es &#x017F;chon, es &#x017F;ey voll-<lb/>
kommen, es &#x017F;ey artig genug, und du&#x0364;rfe nicht<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Q 4</fw><fw place="bottom" type="catch">be&#x017F;&#x017F;er</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[247/0269] gen anderer guten Menſchen. Die Ehre und der Ruhm der halben Stadt. Wenn man ein recht artiges, liebes Kind beſchreiben wollte, ſo wurde Lottchen genannt. Es wurde oft in Geſellſchaften gebeten, weil es die Leute gar zu gern bey ſich haben und leiden moch- ten. Andere Kinder mußten es oft von ih- ren Aeltern hoͤren, daß ſie nicht ſo artig als Lottchen waͤren. Aber das Ding kehrte ſich gewaltig um. Lottchen wurde mit einemmale wieder ſo un- artig, daß es alle Tage eine neue uͤble Ge- wohnheit annahm, und durch ſeine ſchlechte Sitten und Auffuͤhrung jetzo deſto unleidlicher wurde, je artiger es vorher geweſen war. Woher mochte das wohl kommen? Ganz gewiß zuerſt davon, daß man das Kind zu viel gelobt, und durch das viele Loben verdorben hatte. Denn nun dachte es ſchon, es ſey voll- kommen, es ſey artig genug, und duͤrfe nicht beſſer Q 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goetze_zeitvertreib02_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goetze_zeitvertreib02_1783/269
Zitationshilfe: Goeze, Johann August Ephraim: Zeitvertreib und Unterricht für Kinder vom dritten bis zehnten Jahr in kleinen Geschichten. Bd. 2. Leipzig, 1783, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goetze_zeitvertreib02_1783/269>, abgerufen am 24.11.2024.