Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goeze, Johann August Ephraim: Zeitvertreib und Unterricht für Kinder vom dritten bis zehnten Jahr in kleinen Geschichten. Bd. 2. Leipzig, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

nichts, als Schimpf und Schande. Und der
Ruhm seiner vorigen Artigkeit war gänzlich
verloren. Nirgends hieß es mehr das artige
Lottchen, sondern die Leute sagten: Wie hat
sich das Kind verändert! Was ist aus dem
Kinde geworden?

Das gieng so wohl einige Monate hin.
Da fieng es selbst an, es zu fühlen, daß es die
Aeltern nicht mehr so lieb hatten wie sonst --
daß es viel weniger Freude hatte, als sonst --
daß es von andern gar nicht mehr so geachtet
wurde, als sonst. Dieß gieng ihm sehr nahe.
O! sagte es einmal vor sich, was mag
doch daran Schuld seyn, daß sich mei-
ne Aeltern so umgekehrt haben, und mir
nicht mehr so gut sind, als sonst?

Was sprichst du da vor dich, sagte die Mut-
ter? Und es mußte es noch einmal sagen.

So? war die Antwort. Wir hätten uns
umgekehrt? Du hast dich umgekehrt, und bist

nicht

nichts, als Schimpf und Schande. Und der
Ruhm ſeiner vorigen Artigkeit war gaͤnzlich
verloren. Nirgends hieß es mehr das artige
Lottchen, ſondern die Leute ſagten: Wie hat
ſich das Kind veraͤndert! Was iſt aus dem
Kinde geworden?

Das gieng ſo wohl einige Monate hin.
Da fieng es ſelbſt an, es zu fuͤhlen, daß es die
Aeltern nicht mehr ſo lieb hatten wie ſonſt —
daß es viel weniger Freude hatte, als ſonſt —
daß es von andern gar nicht mehr ſo geachtet
wurde, als ſonſt. Dieß gieng ihm ſehr nahe.
O! ſagte es einmal vor ſich, was mag
doch daran Schuld ſeyn, daß ſich mei-
ne Aeltern ſo umgekehrt haben, und mir
nicht mehr ſo gut ſind, als ſonſt?

Was ſprichſt du da vor dich, ſagte die Mut-
ter? Und es mußte es noch einmal ſagen.

So? war die Antwort. Wir haͤtten uns
umgekehrt? Du haſt dich umgekehrt, und biſt

nicht
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0272" n="250"/>
nichts, als Schimpf und Schande. Und der<lb/>
Ruhm &#x017F;einer vorigen Artigkeit war ga&#x0364;nzlich<lb/>
verloren. Nirgends hieß es mehr das artige<lb/><hi rendition="#fr">Lottchen</hi>, &#x017F;ondern die Leute &#x017F;agten: Wie hat<lb/>
&#x017F;ich das Kind vera&#x0364;ndert! Was i&#x017F;t aus dem<lb/>
Kinde geworden?</p><lb/>
        <p>Das gieng &#x017F;o wohl einige Monate hin.<lb/>
Da fieng es &#x017F;elb&#x017F;t an, es zu fu&#x0364;hlen, daß es die<lb/>
Aeltern nicht mehr &#x017F;o lieb hatten wie &#x017F;on&#x017F;t &#x2014;<lb/>
daß es viel weniger Freude hatte, als &#x017F;on&#x017F;t &#x2014;<lb/>
daß es von andern gar nicht mehr &#x017F;o geachtet<lb/>
wurde, als &#x017F;on&#x017F;t. Dieß gieng ihm &#x017F;ehr nahe.<lb/><hi rendition="#et">O! &#x017F;agte es einmal vor &#x017F;ich, was mag<lb/>
doch daran Schuld &#x017F;eyn, daß &#x017F;ich mei-<lb/>
ne Aeltern &#x017F;o umgekehrt haben, und mir<lb/>
nicht mehr &#x017F;o gut &#x017F;ind, als &#x017F;on&#x017F;t?</hi><lb/>
Was &#x017F;prich&#x017F;t du da vor dich, &#x017F;agte die Mut-<lb/>
ter? Und es mußte es noch einmal &#x017F;agen.</p><lb/>
        <p>So? war die Antwort. Wir ha&#x0364;tten uns<lb/>
umgekehrt? Du ha&#x017F;t dich umgekehrt, und bi&#x017F;t<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nicht</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[250/0272] nichts, als Schimpf und Schande. Und der Ruhm ſeiner vorigen Artigkeit war gaͤnzlich verloren. Nirgends hieß es mehr das artige Lottchen, ſondern die Leute ſagten: Wie hat ſich das Kind veraͤndert! Was iſt aus dem Kinde geworden? Das gieng ſo wohl einige Monate hin. Da fieng es ſelbſt an, es zu fuͤhlen, daß es die Aeltern nicht mehr ſo lieb hatten wie ſonſt — daß es viel weniger Freude hatte, als ſonſt — daß es von andern gar nicht mehr ſo geachtet wurde, als ſonſt. Dieß gieng ihm ſehr nahe. O! ſagte es einmal vor ſich, was mag doch daran Schuld ſeyn, daß ſich mei- ne Aeltern ſo umgekehrt haben, und mir nicht mehr ſo gut ſind, als ſonſt? Was ſprichſt du da vor dich, ſagte die Mut- ter? Und es mußte es noch einmal ſagen. So? war die Antwort. Wir haͤtten uns umgekehrt? Du haſt dich umgekehrt, und biſt nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goetze_zeitvertreib02_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goetze_zeitvertreib02_1783/272
Zitationshilfe: Goeze, Johann August Ephraim: Zeitvertreib und Unterricht für Kinder vom dritten bis zehnten Jahr in kleinen Geschichten. Bd. 2. Leipzig, 1783, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goetze_zeitvertreib02_1783/272>, abgerufen am 24.11.2024.