Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goldammer, Leo: Eine Hochzeitsnacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [187]–203. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

-- aber ich kann nicht dafür, er kommt mir immer und immer wieder in den Sinn -- --

Daß dein Bruder geblieben sein möchte?

Gott sieht's, ich gebe mir Mühe, gar nichts mehr zu denken! -- Ach, wäre diese Hochzeit nur erst vorüber!

Junge, das ist ein Brandmal auf deiner Seele! Bist du nicht mit in der Kirche gewesen, hast du nicht mitgesungen, mitgebetet für deinen Bruder, und haben des Pastors Worte keinen Eindruck auf dich gemacht?

Ja, Vater, ich habe mitgesungen, mitgebetet -- aber in meinem Herzen saßen tausend Teufel, ich weiß nicht, daß ich gesungen und gebetet in der Kirche. Doch laßt mich nur, ich geb' Euch mein Wort: die Urte will ich vergessen und den Christoph dazu -- Wären diese Tage nur erst vorüber!

Der Vater sah seinem Sohne mit ernster, aber freundlicher Miene ins Gesicht, klopfte ihm auf die Schulter, sprach gute Worte und ging wieder ins Haus. Drinnen war indessen abgespeis't. Die Alten wischten sich den Mund, den Jungen brannte es unter den Fußsohlen, den Boden zu stampfen. Die Musikanten machten auch eine Pause, um sich für die Arbeit beim Tanze zu stärken an den ihnen vorgesetzten Leckerbissen. Frisch langten sie zu nach dem eigengeschlachteten Schinken mit handhohem Fett, nach dem Schweins- und Gänsebraten, nach der vortrefflichen Bratwurst und füllten sich dazu aus dem blumenumkränzten Brangwine-Napf einen Löffel nach dem andern, daß ihnen die Schnurrbärte

— aber ich kann nicht dafür, er kommt mir immer und immer wieder in den Sinn — —

Daß dein Bruder geblieben sein möchte?

Gott sieht's, ich gebe mir Mühe, gar nichts mehr zu denken! — Ach, wäre diese Hochzeit nur erst vorüber!

Junge, das ist ein Brandmal auf deiner Seele! Bist du nicht mit in der Kirche gewesen, hast du nicht mitgesungen, mitgebetet für deinen Bruder, und haben des Pastors Worte keinen Eindruck auf dich gemacht?

Ja, Vater, ich habe mitgesungen, mitgebetet — aber in meinem Herzen saßen tausend Teufel, ich weiß nicht, daß ich gesungen und gebetet in der Kirche. Doch laßt mich nur, ich geb' Euch mein Wort: die Urte will ich vergessen und den Christoph dazu — Wären diese Tage nur erst vorüber!

Der Vater sah seinem Sohne mit ernster, aber freundlicher Miene ins Gesicht, klopfte ihm auf die Schulter, sprach gute Worte und ging wieder ins Haus. Drinnen war indessen abgespeis't. Die Alten wischten sich den Mund, den Jungen brannte es unter den Fußsohlen, den Boden zu stampfen. Die Musikanten machten auch eine Pause, um sich für die Arbeit beim Tanze zu stärken an den ihnen vorgesetzten Leckerbissen. Frisch langten sie zu nach dem eigengeschlachteten Schinken mit handhohem Fett, nach dem Schweins- und Gänsebraten, nach der vortrefflichen Bratwurst und füllten sich dazu aus dem blumenumkränzten Brangwine-Napf einen Löffel nach dem andern, daß ihnen die Schnurrbärte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0010"/>
&#x2014; aber ich kann nicht dafür, er kommt mir immer und immer wieder in den Sinn     &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
        <p>Daß dein Bruder geblieben sein möchte?</p><lb/>
        <p>Gott sieht's, ich gebe mir Mühe, gar nichts mehr zu denken! &#x2014; Ach, wäre diese Hochzeit nur     erst vorüber!</p><lb/>
        <p>Junge, das ist ein Brandmal auf deiner Seele! Bist du nicht mit in der Kirche gewesen, hast du     nicht mitgesungen, mitgebetet für deinen Bruder, und haben des Pastors Worte keinen Eindruck auf     dich gemacht?</p><lb/>
        <p>Ja, Vater, ich habe mitgesungen, mitgebetet &#x2014; aber in meinem Herzen saßen tausend Teufel, ich     weiß nicht, daß ich gesungen und gebetet in der Kirche. Doch laßt mich nur, ich geb' Euch mein     Wort: die Urte will ich vergessen und den Christoph dazu &#x2014; Wären diese Tage nur erst     vorüber!</p><lb/>
        <p>Der Vater sah seinem Sohne mit ernster, aber freundlicher Miene ins Gesicht, klopfte ihm auf     die Schulter, sprach gute Worte und ging wieder ins Haus. Drinnen war indessen abgespeis't. Die     Alten wischten sich den Mund, den Jungen brannte es unter den Fußsohlen, den Boden zu stampfen.     Die Musikanten machten auch eine Pause, um sich für die Arbeit beim Tanze zu stärken an den     ihnen vorgesetzten Leckerbissen. Frisch langten sie zu nach dem eigengeschlachteten Schinken mit     handhohem Fett, nach dem Schweins- und Gänsebraten, nach der vortrefflichen Bratwurst und     füllten sich dazu aus dem blumenumkränzten Brangwine-Napf einen Löffel nach dem andern, daß     ihnen die Schnurrbärte<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0010] — aber ich kann nicht dafür, er kommt mir immer und immer wieder in den Sinn — — Daß dein Bruder geblieben sein möchte? Gott sieht's, ich gebe mir Mühe, gar nichts mehr zu denken! — Ach, wäre diese Hochzeit nur erst vorüber! Junge, das ist ein Brandmal auf deiner Seele! Bist du nicht mit in der Kirche gewesen, hast du nicht mitgesungen, mitgebetet für deinen Bruder, und haben des Pastors Worte keinen Eindruck auf dich gemacht? Ja, Vater, ich habe mitgesungen, mitgebetet — aber in meinem Herzen saßen tausend Teufel, ich weiß nicht, daß ich gesungen und gebetet in der Kirche. Doch laßt mich nur, ich geb' Euch mein Wort: die Urte will ich vergessen und den Christoph dazu — Wären diese Tage nur erst vorüber! Der Vater sah seinem Sohne mit ernster, aber freundlicher Miene ins Gesicht, klopfte ihm auf die Schulter, sprach gute Worte und ging wieder ins Haus. Drinnen war indessen abgespeis't. Die Alten wischten sich den Mund, den Jungen brannte es unter den Fußsohlen, den Boden zu stampfen. Die Musikanten machten auch eine Pause, um sich für die Arbeit beim Tanze zu stärken an den ihnen vorgesetzten Leckerbissen. Frisch langten sie zu nach dem eigengeschlachteten Schinken mit handhohem Fett, nach dem Schweins- und Gänsebraten, nach der vortrefflichen Bratwurst und füllten sich dazu aus dem blumenumkränzten Brangwine-Napf einen Löffel nach dem andern, daß ihnen die Schnurrbärte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T15:53:03Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T15:53:03Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goldammer_hochzeitsnacht_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goldammer_hochzeitsnacht_1910/10
Zitationshilfe: Goldammer, Leo: Eine Hochzeitsnacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [187]–203. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goldammer_hochzeitsnacht_1910/10>, abgerufen am 21.11.2024.