Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

einmal außerhalb der Kuhweide war, der wird von zwei Mächten getrieben: er will wiedersehen, er will sich wieder zeigen. Kurt wollte wiedersehen sein ganzes Jagdrevier, jeden Anstand, auf welchem er in der Dämmerung zu lauern pflegte, jedes Dickicht, in welchem er eine Sau gesehen, jede Wiese, über welche das Wild strich, jede Quelle, an welcher Reh und Hirsch sich fanden, die alten Weidenstöcke, wo die größten Forellen standen, die Plätze, wo die Lachse laichten, die Strömungen, wo die Raubfische in Netzen zu fangen waren, jede besondere Art zu ihrer besondern Zeit. Er mußte beobachten, ob das Wild die gleichen Gänge ging, oder beim Wechsel des Holzes die Bahnen geändert, andere Richtungen genommen. Das Wild ist freiherrlich, macht sich seine Wege nach seiner Bequemlichkeit, nachdem das Holz aufwächst oder abgehauen wird, je nachdem das Unterholz sich ändert oder rundum die Cultur, denn es ist eben auch sehr empfänglich für die Cultur. Es ändert seine Wege ohne obrigkeitliche Bewilligung, denn es braucht zur Instandstellung seiner Wege auch keine obrigkeitlichen Wegeknechte. Wie ein alter Student seine alten Lieder, so liebt ein alter Jäger seine alten Gänge, und Jeder hat seine besonderen Stellen, wo ihm das Herz besonders schlägt und in die Augen ein besonderes Leben kommt. -- Aber auch zeigen, wieder zeigen will man sich, besonders wenn man glaubt, es sei eine merkliche Veränderung an einem vorgegangen. Kurt ritt an Halten gerne vorüber und sah auf die

einmal außerhalb der Kuhweide war, der wird von zwei Mächten getrieben: er will wiedersehen, er will sich wieder zeigen. Kurt wollte wiedersehen sein ganzes Jagdrevier, jeden Anstand, auf welchem er in der Dämmerung zu lauern pflegte, jedes Dickicht, in welchem er eine Sau gesehen, jede Wiese, über welche das Wild strich, jede Quelle, an welcher Reh und Hirsch sich fanden, die alten Weidenstöcke, wo die größten Forellen standen, die Plätze, wo die Lachse laichten, die Strömungen, wo die Raubfische in Netzen zu fangen waren, jede besondere Art zu ihrer besondern Zeit. Er mußte beobachten, ob das Wild die gleichen Gänge ging, oder beim Wechsel des Holzes die Bahnen geändert, andere Richtungen genommen. Das Wild ist freiherrlich, macht sich seine Wege nach seiner Bequemlichkeit, nachdem das Holz aufwächst oder abgehauen wird, je nachdem das Unterholz sich ändert oder rundum die Cultur, denn es ist eben auch sehr empfänglich für die Cultur. Es ändert seine Wege ohne obrigkeitliche Bewilligung, denn es braucht zur Instandstellung seiner Wege auch keine obrigkeitlichen Wegeknechte. Wie ein alter Student seine alten Lieder, so liebt ein alter Jäger seine alten Gänge, und Jeder hat seine besonderen Stellen, wo ihm das Herz besonders schlägt und in die Augen ein besonderes Leben kommt. — Aber auch zeigen, wieder zeigen will man sich, besonders wenn man glaubt, es sei eine merkliche Veränderung an einem vorgegangen. Kurt ritt an Halten gerne vorüber und sah auf die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="0">
        <p><pb facs="#f0113"/>
einmal außerhalb der Kuhweide war, der wird von zwei Mächten                     getrieben: er will wiedersehen, er will sich wieder zeigen. Kurt wollte                     wiedersehen sein ganzes Jagdrevier, jeden Anstand, auf welchem er in der                     Dämmerung zu lauern pflegte, jedes Dickicht, in welchem er eine Sau gesehen,                     jede Wiese, über welche das Wild strich, jede Quelle, an welcher Reh und Hirsch                     sich fanden, die alten Weidenstöcke, wo die größten Forellen standen, die                     Plätze, wo die Lachse laichten, die Strömungen, wo die Raubfische in Netzen zu                     fangen waren, jede besondere Art zu ihrer besondern Zeit. Er mußte beobachten,                     ob das Wild die gleichen Gänge ging, oder beim Wechsel des Holzes die Bahnen                     geändert, andere Richtungen genommen. Das Wild ist freiherrlich, macht sich                     seine Wege nach seiner Bequemlichkeit, nachdem das Holz aufwächst oder abgehauen                     wird, je nachdem das Unterholz sich ändert oder rundum die Cultur, denn es ist                     eben auch sehr empfänglich für die Cultur. Es ändert seine Wege ohne                     obrigkeitliche Bewilligung, denn es braucht zur Instandstellung seiner Wege auch                     keine obrigkeitlichen Wegeknechte. Wie ein alter Student seine alten Lieder, so                     liebt ein alter Jäger seine alten Gänge, und Jeder hat seine besonderen Stellen,                     wo ihm das Herz besonders schlägt und in die Augen ein besonderes Leben kommt. &#x2014;                     Aber auch zeigen, wieder zeigen will man sich, besonders wenn man glaubt, es sei                     eine merkliche Veränderung an einem vorgegangen. Kurt ritt an Halten gerne                     vorüber und sah auf die<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0113] einmal außerhalb der Kuhweide war, der wird von zwei Mächten getrieben: er will wiedersehen, er will sich wieder zeigen. Kurt wollte wiedersehen sein ganzes Jagdrevier, jeden Anstand, auf welchem er in der Dämmerung zu lauern pflegte, jedes Dickicht, in welchem er eine Sau gesehen, jede Wiese, über welche das Wild strich, jede Quelle, an welcher Reh und Hirsch sich fanden, die alten Weidenstöcke, wo die größten Forellen standen, die Plätze, wo die Lachse laichten, die Strömungen, wo die Raubfische in Netzen zu fangen waren, jede besondere Art zu ihrer besondern Zeit. Er mußte beobachten, ob das Wild die gleichen Gänge ging, oder beim Wechsel des Holzes die Bahnen geändert, andere Richtungen genommen. Das Wild ist freiherrlich, macht sich seine Wege nach seiner Bequemlichkeit, nachdem das Holz aufwächst oder abgehauen wird, je nachdem das Unterholz sich ändert oder rundum die Cultur, denn es ist eben auch sehr empfänglich für die Cultur. Es ändert seine Wege ohne obrigkeitliche Bewilligung, denn es braucht zur Instandstellung seiner Wege auch keine obrigkeitlichen Wegeknechte. Wie ein alter Student seine alten Lieder, so liebt ein alter Jäger seine alten Gänge, und Jeder hat seine besonderen Stellen, wo ihm das Herz besonders schlägt und in die Augen ein besonderes Leben kommt. — Aber auch zeigen, wieder zeigen will man sich, besonders wenn man glaubt, es sei eine merkliche Veränderung an einem vorgegangen. Kurt ritt an Halten gerne vorüber und sah auf die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T09:57:28Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T09:57:28Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/113
Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/113>, abgerufen am 21.11.2024.