Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.und ganzen Gliedern einen Ausweg fanden. Der Ort war zehn Mal sicherer, als irgend eins ihrer Schlößlein; es war eine wahre Freistätte für die adeligen Räuber vor Allem; dann aber auch für das bessere Lumpengesindel, d. h. die hübscheren Dirnen, die schlauesten Gaudiebe, die wildesten Räuber. Sami, der Alte, der Herbergvater, gab sich mit den auswärtigen Angelegenheiten wenig mehr ab; er that, als sei er der Junker unterthänigster Knecht, hätschelte sie, schmeichelte ihnen, dagegen war er des Lumpengesindels Freund nach dem Sprüchwort: Gleich und Gleich gesellt sich gern. Wenn aber einer der Junker ihm Nichts mehr eingebracht hätte, oder gar lästig gewesen, so hätte Sami ihn sich ohne Bedenken alsbald vom Halse geschafft, freilich auf seine Weise, d. h. durch andere Hände. Laut der Naturgeschichte fressen die bedeutenderen Thiere der gleichen Sorte sich sonst nicht, höchstens ein Schwein seine Ferkel und ein Kater die Kinder seiner Liebsten. Nun gehören die Menschen alle zu der gleichen Thiersorte, seien sie schwarz oder weiß, so gut als Schimmel und Rappen Pferde von der gleichen Sorte sind, trotz der verschiedenen Farbe. Nun scheinen die Menschen durch die verschiedenen Stände in eben so viel verschiedene Thiersorten sich zu gliedern, von denen die eine die andere auszubeuten oder zu verzehren sucht. So steht der Arme gegen den Reichen, und umgekehrt, der Vornehme gegen den Gemeinen, und umgekehrt, die und ganzen Gliedern einen Ausweg fanden. Der Ort war zehn Mal sicherer, als irgend eins ihrer Schlößlein; es war eine wahre Freistätte für die adeligen Räuber vor Allem; dann aber auch für das bessere Lumpengesindel, d. h. die hübscheren Dirnen, die schlauesten Gaudiebe, die wildesten Räuber. Sami, der Alte, der Herbergvater, gab sich mit den auswärtigen Angelegenheiten wenig mehr ab; er that, als sei er der Junker unterthänigster Knecht, hätschelte sie, schmeichelte ihnen, dagegen war er des Lumpengesindels Freund nach dem Sprüchwort: Gleich und Gleich gesellt sich gern. Wenn aber einer der Junker ihm Nichts mehr eingebracht hätte, oder gar lästig gewesen, so hätte Sami ihn sich ohne Bedenken alsbald vom Halse geschafft, freilich auf seine Weise, d. h. durch andere Hände. Laut der Naturgeschichte fressen die bedeutenderen Thiere der gleichen Sorte sich sonst nicht, höchstens ein Schwein seine Ferkel und ein Kater die Kinder seiner Liebsten. Nun gehören die Menschen alle zu der gleichen Thiersorte, seien sie schwarz oder weiß, so gut als Schimmel und Rappen Pferde von der gleichen Sorte sind, trotz der verschiedenen Farbe. Nun scheinen die Menschen durch die verschiedenen Stände in eben so viel verschiedene Thiersorten sich zu gliedern, von denen die eine die andere auszubeuten oder zu verzehren sucht. So steht der Arme gegen den Reichen, und umgekehrt, der Vornehme gegen den Gemeinen, und umgekehrt, die <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <p><pb facs="#f0138"/> und ganzen Gliedern einen Ausweg fanden. Der Ort war zehn Mal sicherer, als irgend eins ihrer Schlößlein; es war eine wahre Freistätte für die adeligen Räuber vor Allem; dann aber auch für das bessere Lumpengesindel, d. h. die hübscheren Dirnen, die schlauesten Gaudiebe, die wildesten Räuber.</p><lb/> <p>Sami, der Alte, der Herbergvater, gab sich mit den auswärtigen Angelegenheiten wenig mehr ab; er that, als sei er der Junker unterthänigster Knecht, hätschelte sie, schmeichelte ihnen, dagegen war er des Lumpengesindels Freund nach dem Sprüchwort: Gleich und Gleich gesellt sich gern. Wenn aber einer der Junker ihm Nichts mehr eingebracht hätte, oder gar lästig gewesen, so hätte Sami ihn sich ohne Bedenken alsbald vom Halse geschafft, freilich auf seine Weise, d. h. durch andere Hände. Laut der Naturgeschichte fressen die bedeutenderen Thiere der gleichen Sorte sich sonst nicht, höchstens ein Schwein seine Ferkel und ein Kater die Kinder seiner Liebsten. Nun gehören die Menschen alle zu der gleichen Thiersorte, seien sie schwarz oder weiß, so gut als Schimmel und Rappen Pferde von der gleichen Sorte sind, trotz der verschiedenen Farbe. Nun scheinen die Menschen durch die verschiedenen Stände in eben so viel verschiedene Thiersorten sich zu gliedern, von denen die eine die andere auszubeuten oder zu verzehren sucht. So steht der Arme gegen den Reichen, und umgekehrt, der Vornehme gegen den Gemeinen, und umgekehrt, die<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0138]
und ganzen Gliedern einen Ausweg fanden. Der Ort war zehn Mal sicherer, als irgend eins ihrer Schlößlein; es war eine wahre Freistätte für die adeligen Räuber vor Allem; dann aber auch für das bessere Lumpengesindel, d. h. die hübscheren Dirnen, die schlauesten Gaudiebe, die wildesten Räuber.
Sami, der Alte, der Herbergvater, gab sich mit den auswärtigen Angelegenheiten wenig mehr ab; er that, als sei er der Junker unterthänigster Knecht, hätschelte sie, schmeichelte ihnen, dagegen war er des Lumpengesindels Freund nach dem Sprüchwort: Gleich und Gleich gesellt sich gern. Wenn aber einer der Junker ihm Nichts mehr eingebracht hätte, oder gar lästig gewesen, so hätte Sami ihn sich ohne Bedenken alsbald vom Halse geschafft, freilich auf seine Weise, d. h. durch andere Hände. Laut der Naturgeschichte fressen die bedeutenderen Thiere der gleichen Sorte sich sonst nicht, höchstens ein Schwein seine Ferkel und ein Kater die Kinder seiner Liebsten. Nun gehören die Menschen alle zu der gleichen Thiersorte, seien sie schwarz oder weiß, so gut als Schimmel und Rappen Pferde von der gleichen Sorte sind, trotz der verschiedenen Farbe. Nun scheinen die Menschen durch die verschiedenen Stände in eben so viel verschiedene Thiersorten sich zu gliedern, von denen die eine die andere auszubeuten oder zu verzehren sucht. So steht der Arme gegen den Reichen, und umgekehrt, der Vornehme gegen den Gemeinen, und umgekehrt, die
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Zitationshilfe: | Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/138>, abgerufen am 16.02.2025. |