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Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Stunden von jedem Orte entfernt, gehörte nicht zum strengsten Orden; aus den vornehmsten Familien beider Städte stammten die meisten Nonnen. Das Kloster lag in einer lieblichen und reichen Gegend, noch jetzt berühmt durch Korn und Stiere, Schnepfen und Fische, Reb- und andere Hühner. Mit beiden Städten war das Kloster in steter Verbindung, in freundschaftlicher und kirchlicher, denn zu feierlichem, würdigem Gottesdienste an großen Festen, wie Weihnachten z. B., bedurfte es auswärtiger Hülfe, in sich hatte es die Mittel nicht. Doch neigte sich das Kloster mehr nach Solothurn hin, hatte mit dieser Stadt den stärkeren Verkehr.

In Solothurn war von je der südliche Sinn, welcher große Kirchlichkeit nicht bloß, sondern auch große zeitweise Zerknirschung mit heiterem Weltsinn und fleischlichen Genüssen auf wunderbare Weise zu vereinigen weiß. Diese wunderbare Mischung fand schon damals in Klöstern und namentlich in weiblichen statt. Der Kampf des Fleisches mit dem Geiste wird bestehen, so lange die Erde in ihren Angeln geht, und eben so lange wird die Vermittelung zwischen beiden gesucht, nach welcher ein inniges Sehnen ist. Die wahre Vermittelung geschieht durch Christus im Inwendigen, daß der neue Mensch aufersteht, die Zügel führt, dem alten Menschen seine angeborenen Rechte läßt, aber keine mehr. Die falsche Vermittelung hat der Teufel in die Welt gesetzt, um abzulenken von der

Stunden von jedem Orte entfernt, gehörte nicht zum strengsten Orden; aus den vornehmsten Familien beider Städte stammten die meisten Nonnen. Das Kloster lag in einer lieblichen und reichen Gegend, noch jetzt berühmt durch Korn und Stiere, Schnepfen und Fische, Reb- und andere Hühner. Mit beiden Städten war das Kloster in steter Verbindung, in freundschaftlicher und kirchlicher, denn zu feierlichem, würdigem Gottesdienste an großen Festen, wie Weihnachten z. B., bedurfte es auswärtiger Hülfe, in sich hatte es die Mittel nicht. Doch neigte sich das Kloster mehr nach Solothurn hin, hatte mit dieser Stadt den stärkeren Verkehr.

In Solothurn war von je der südliche Sinn, welcher große Kirchlichkeit nicht bloß, sondern auch große zeitweise Zerknirschung mit heiterem Weltsinn und fleischlichen Genüssen auf wunderbare Weise zu vereinigen weiß. Diese wunderbare Mischung fand schon damals in Klöstern und namentlich in weiblichen statt. Der Kampf des Fleisches mit dem Geiste wird bestehen, so lange die Erde in ihren Angeln geht, und eben so lange wird die Vermittelung zwischen beiden gesucht, nach welcher ein inniges Sehnen ist. Die wahre Vermittelung geschieht durch Christus im Inwendigen, daß der neue Mensch aufersteht, die Zügel führt, dem alten Menschen seine angeborenen Rechte läßt, aber keine mehr. Die falsche Vermittelung hat der Teufel in die Welt gesetzt, um abzulenken von der

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T09:57:28Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/158>, abgerufen am 24.11.2024.