Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

zorniger saus'ten die Peitschen. In der Hölle Grimm und Angst schnappte er auf, nach dem Kinde fuhren seine Zähne; ein Schrei, der den Reif von den Bäumen schüttelte, das Wild aus den Lagern jagte, die Fische in den tiefsten Grund, rief der Mutter; sie warf sich zurück und auf den zweiten Arm das Kind, warf sich wieder voraus in gedoppelter Hast. Aber wieder blieb der Kinder eins hinter den andern, lauter und lauter, herzzerreißender tönte dessen Wehgeschrei, höllischer fuhren in Fleisch und Bein die Peitschen dem Hunde, je näher dessen Schnauze dem Kinde kam, schon klaffte sie dicht hinter demselben weit auseinander; ein gräßlicher Nothschrei entfuhr dem Kinde, mit glühenden Speeren stachelten die Jäger den Hund, er sprang ein auf das Kind, aber er faßte es nicht. Vor ihm stand die Mutter, welche die beiden Kinder abgeworfen, fuhr ihm mit dem Arme in den Rachen, hielt mit nackter Hand seine glühende Zunge fest. Da floß es weich, kühl und leise ihm durch die Glieder, der Brand erlosch, ein süßes Mattsein, wie dem Müden vor dem Schlafe, kam über ihn; matt schlug er die Augen auf, und es war, als stünde nicht mehr seine Agnes, sondern ein hehres Frauenbild vor ihm in himmlischer Schöne, von blondem Lockenhaar umwallt, wie von einem goldenen Mantel. Alsbald sanken ihm die Augen wieder zu, er streckte die Glieder; Nacht ward es über seine Seele, es war ihm, als stürze er in eine Kluft, stürze immer fort, aber um das Ende des

zorniger saus'ten die Peitschen. In der Hölle Grimm und Angst schnappte er auf, nach dem Kinde fuhren seine Zähne; ein Schrei, der den Reif von den Bäumen schüttelte, das Wild aus den Lagern jagte, die Fische in den tiefsten Grund, rief der Mutter; sie warf sich zurück und auf den zweiten Arm das Kind, warf sich wieder voraus in gedoppelter Hast. Aber wieder blieb der Kinder eins hinter den andern, lauter und lauter, herzzerreißender tönte dessen Wehgeschrei, höllischer fuhren in Fleisch und Bein die Peitschen dem Hunde, je näher dessen Schnauze dem Kinde kam, schon klaffte sie dicht hinter demselben weit auseinander; ein gräßlicher Nothschrei entfuhr dem Kinde, mit glühenden Speeren stachelten die Jäger den Hund, er sprang ein auf das Kind, aber er faßte es nicht. Vor ihm stand die Mutter, welche die beiden Kinder abgeworfen, fuhr ihm mit dem Arme in den Rachen, hielt mit nackter Hand seine glühende Zunge fest. Da floß es weich, kühl und leise ihm durch die Glieder, der Brand erlosch, ein süßes Mattsein, wie dem Müden vor dem Schlafe, kam über ihn; matt schlug er die Augen auf, und es war, als stünde nicht mehr seine Agnes, sondern ein hehres Frauenbild vor ihm in himmlischer Schöne, von blondem Lockenhaar umwallt, wie von einem goldenen Mantel. Alsbald sanken ihm die Augen wieder zu, er streckte die Glieder; Nacht ward es über seine Seele, es war ihm, als stürze er in eine Kluft, stürze immer fort, aber um das Ende des

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="0">
        <p><pb facs="#f0176"/>
zorniger saus'ten die Peitschen. In der Hölle Grimm und Angst                     schnappte er auf, nach dem Kinde fuhren seine Zähne; ein Schrei, der den Reif                     von den Bäumen schüttelte, das Wild aus den Lagern jagte, die Fische in den                     tiefsten Grund, rief der Mutter; sie warf sich zurück und auf den zweiten Arm                     das Kind, warf sich wieder voraus in gedoppelter Hast. Aber wieder blieb der                     Kinder eins hinter den andern, lauter und lauter, herzzerreißender tönte dessen                     Wehgeschrei, höllischer fuhren in Fleisch und Bein die Peitschen dem Hunde, je                     näher dessen Schnauze dem Kinde kam, schon klaffte sie dicht hinter demselben                     weit auseinander; ein gräßlicher Nothschrei entfuhr dem Kinde, mit glühenden                     Speeren stachelten die Jäger den Hund, er sprang ein auf das Kind, aber er faßte                     es nicht. Vor ihm stand die Mutter, welche die beiden Kinder abgeworfen, fuhr                     ihm mit dem Arme in den Rachen, hielt mit nackter Hand seine glühende Zunge                     fest. Da floß es weich, kühl und leise ihm durch die Glieder, der Brand erlosch,                     ein süßes Mattsein, wie dem Müden vor dem Schlafe, kam über ihn; matt schlug er                     die Augen auf, und es war, als stünde nicht mehr seine Agnes, sondern ein hehres                     Frauenbild vor ihm in himmlischer Schöne, von blondem Lockenhaar umwallt, wie                     von einem goldenen Mantel. Alsbald sanken ihm die Augen wieder zu, er streckte                     die Glieder; Nacht ward es über seine Seele, es war ihm, als stürze er in eine                     Kluft, stürze immer fort, aber um das Ende des<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0176] zorniger saus'ten die Peitschen. In der Hölle Grimm und Angst schnappte er auf, nach dem Kinde fuhren seine Zähne; ein Schrei, der den Reif von den Bäumen schüttelte, das Wild aus den Lagern jagte, die Fische in den tiefsten Grund, rief der Mutter; sie warf sich zurück und auf den zweiten Arm das Kind, warf sich wieder voraus in gedoppelter Hast. Aber wieder blieb der Kinder eins hinter den andern, lauter und lauter, herzzerreißender tönte dessen Wehgeschrei, höllischer fuhren in Fleisch und Bein die Peitschen dem Hunde, je näher dessen Schnauze dem Kinde kam, schon klaffte sie dicht hinter demselben weit auseinander; ein gräßlicher Nothschrei entfuhr dem Kinde, mit glühenden Speeren stachelten die Jäger den Hund, er sprang ein auf das Kind, aber er faßte es nicht. Vor ihm stand die Mutter, welche die beiden Kinder abgeworfen, fuhr ihm mit dem Arme in den Rachen, hielt mit nackter Hand seine glühende Zunge fest. Da floß es weich, kühl und leise ihm durch die Glieder, der Brand erlosch, ein süßes Mattsein, wie dem Müden vor dem Schlafe, kam über ihn; matt schlug er die Augen auf, und es war, als stünde nicht mehr seine Agnes, sondern ein hehres Frauenbild vor ihm in himmlischer Schöne, von blondem Lockenhaar umwallt, wie von einem goldenen Mantel. Alsbald sanken ihm die Augen wieder zu, er streckte die Glieder; Nacht ward es über seine Seele, es war ihm, als stürze er in eine Kluft, stürze immer fort, aber um das Ende des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T09:57:28Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T09:57:28Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/176
Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/176>, abgerufen am 21.11.2024.