Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Aeltesten. Dem Portrait, welches Moses von Laban's Tochter, der Lea, gemacht, glich sie nicht ganz; war ein handfest Mädchen, noch nicht im Schwabenalter, doch über Zwanzig hinaus, verstand das Regieren Wohl, nach ihrer Pfeife mußte Alles tanzen, so daß sie glauben mußte, es müsse einem Manne wohl gehen und derselbe glücklich werden sonder Maaß, wenn er unter ihre Zucht und Regiment käme. Daneben hatte sie aristokratische Grundsätze und meinte, wie Laban, daß der erste Mann der Aeltesten gebühre von Rechtswegen, so gut als dem ältesten Sohn des Königs der Thron des Königs. Brigitte glaubte sich also zur sichern Hoffnung berechtigt, und sah mit allerhöchstem Zorne, wie Kurt's Augen an der Agnes hängen blieben, wie Fliegen im Honig, und wie die scheue Agnes das wohl merkte, nach und nach zahmer wurde, wenn sie in Kurt's Nähe saß, fast nicht wegzubringen war, und hatte starken Verdacht, daß, wenn Brigitte und Kunigunde nicht zugegen waren, sie noch näher rückte, weit näher als nöthig war; das empörteste, sie fand Kurt's Betragen schändlich, die Familienehre in Gefahr, ihren Ruf auf dem Spiele, zu dulden war das nimmermehr. Es ist sehr curios, wie verschieden man eine Sache ansehen kann, je nachdem sie uns oder Jemand anders angeht; hätte Kurt seine Augen an ihr hängen lassen und gerne gehabt, wenn sie neben ihm saß, je näher, desto lieber, Brigitte hätte dieses nicht bloß prächtig, sondern sogar edel gesunden; denn war Kurt nicht

Aeltesten. Dem Portrait, welches Moses von Laban's Tochter, der Lea, gemacht, glich sie nicht ganz; war ein handfest Mädchen, noch nicht im Schwabenalter, doch über Zwanzig hinaus, verstand das Regieren Wohl, nach ihrer Pfeife mußte Alles tanzen, so daß sie glauben mußte, es müsse einem Manne wohl gehen und derselbe glücklich werden sonder Maaß, wenn er unter ihre Zucht und Regiment käme. Daneben hatte sie aristokratische Grundsätze und meinte, wie Laban, daß der erste Mann der Aeltesten gebühre von Rechtswegen, so gut als dem ältesten Sohn des Königs der Thron des Königs. Brigitte glaubte sich also zur sichern Hoffnung berechtigt, und sah mit allerhöchstem Zorne, wie Kurt's Augen an der Agnes hängen blieben, wie Fliegen im Honig, und wie die scheue Agnes das wohl merkte, nach und nach zahmer wurde, wenn sie in Kurt's Nähe saß, fast nicht wegzubringen war, und hatte starken Verdacht, daß, wenn Brigitte und Kunigunde nicht zugegen waren, sie noch näher rückte, weit näher als nöthig war; das empörteste, sie fand Kurt's Betragen schändlich, die Familienehre in Gefahr, ihren Ruf auf dem Spiele, zu dulden war das nimmermehr. Es ist sehr curios, wie verschieden man eine Sache ansehen kann, je nachdem sie uns oder Jemand anders angeht; hätte Kurt seine Augen an ihr hängen lassen und gerne gehabt, wenn sie neben ihm saß, je näher, desto lieber, Brigitte hätte dieses nicht bloß prächtig, sondern sogar edel gesunden; denn war Kurt nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="0">
        <p><pb facs="#f0085"/>
Aeltesten. Dem Portrait, welches                     Moses von Laban's Tochter, der Lea, gemacht, glich sie nicht ganz; war ein                     handfest Mädchen, noch nicht im Schwabenalter, doch über Zwanzig hinaus,                     verstand das Regieren Wohl, nach ihrer Pfeife mußte Alles tanzen, so daß sie                     glauben mußte, es müsse einem Manne wohl gehen und derselbe glücklich werden                     sonder Maaß, wenn er unter ihre Zucht und Regiment käme. Daneben hatte sie                     aristokratische Grundsätze und meinte, wie Laban, daß der erste Mann der                     Aeltesten gebühre von Rechtswegen, so gut als dem ältesten Sohn des Königs der                     Thron des Königs. Brigitte glaubte sich also zur sichern Hoffnung berechtigt,                     und sah mit allerhöchstem Zorne, wie Kurt's Augen an der Agnes hängen blieben,                     wie Fliegen im Honig, und wie die scheue Agnes das wohl merkte, nach und                     nach zahmer wurde, wenn sie in Kurt's Nähe saß, fast nicht wegzubringen war, und                     hatte starken Verdacht, daß, wenn Brigitte und Kunigunde nicht zugegen waren,                     sie noch näher rückte, weit näher als nöthig war; das empörteste, sie fand                     Kurt's Betragen schändlich, die Familienehre in Gefahr, ihren Ruf auf dem                     Spiele, zu dulden war das nimmermehr. Es ist sehr curios, wie verschieden man                     eine Sache ansehen kann, je nachdem sie uns oder Jemand anders angeht; hätte                     Kurt seine Augen an ihr hängen lassen und gerne gehabt, wenn sie neben ihm saß,                     je näher, desto lieber, Brigitte hätte dieses nicht bloß prächtig, sondern sogar                     edel gesunden; denn war Kurt nicht<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0085] Aeltesten. Dem Portrait, welches Moses von Laban's Tochter, der Lea, gemacht, glich sie nicht ganz; war ein handfest Mädchen, noch nicht im Schwabenalter, doch über Zwanzig hinaus, verstand das Regieren Wohl, nach ihrer Pfeife mußte Alles tanzen, so daß sie glauben mußte, es müsse einem Manne wohl gehen und derselbe glücklich werden sonder Maaß, wenn er unter ihre Zucht und Regiment käme. Daneben hatte sie aristokratische Grundsätze und meinte, wie Laban, daß der erste Mann der Aeltesten gebühre von Rechtswegen, so gut als dem ältesten Sohn des Königs der Thron des Königs. Brigitte glaubte sich also zur sichern Hoffnung berechtigt, und sah mit allerhöchstem Zorne, wie Kurt's Augen an der Agnes hängen blieben, wie Fliegen im Honig, und wie die scheue Agnes das wohl merkte, nach und nach zahmer wurde, wenn sie in Kurt's Nähe saß, fast nicht wegzubringen war, und hatte starken Verdacht, daß, wenn Brigitte und Kunigunde nicht zugegen waren, sie noch näher rückte, weit näher als nöthig war; das empörteste, sie fand Kurt's Betragen schändlich, die Familienehre in Gefahr, ihren Ruf auf dem Spiele, zu dulden war das nimmermehr. Es ist sehr curios, wie verschieden man eine Sache ansehen kann, je nachdem sie uns oder Jemand anders angeht; hätte Kurt seine Augen an ihr hängen lassen und gerne gehabt, wenn sie neben ihm saß, je näher, desto lieber, Brigitte hätte dieses nicht bloß prächtig, sondern sogar edel gesunden; denn war Kurt nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T09:57:28Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T09:57:28Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/85
Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/85>, abgerufen am 23.11.2024.