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Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Der Notar in der Falle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–43. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Compliment vermelden, und morgen solle er kommen, wenn er könne. Louise protestirte umsonst. Es werde schon bessern, sagte sie, es sei nur vorübergehend u. s. w. Die Tante bezeugte das Gegentheil und vertiefte sich so in das Thema, daß es Luise katzangst wurde, die Tante vergesse die Frau Seckelmeisterin und die Partie Boston, treffe mit Notar Stößli unter der Hausthüre zusammen und frage barsch: Was wollt Ihr hier? Nun, diese Angst ging glücklich vorüber, Tante segelte ab und zwar mit geschwellten Segeln; die Andern saßen sicher bereits hinter dem Spieltische, denn schon hatte es Ein Uhr geschlagen. Die Spendvögtin wußte, welches scharfe Gericht von Vorwürfen über solch unverantwortliche Verspätung sich ergoß. Kaum war diese Angst gehoben und die Tante verschwunden, kam Luise die Angst vor dem Erscheinen des Notars und zwar so heftig, daß sie zu ersticken meinte, und ihr sonst so stilles Herz polterte, als plumpste eine zweicentrige Köchin Tritt für Tritt eine hölzerne Treppe hinunter. Und wie das Herz am stärksten plumpste, klopfte es an der Thüre. Die Stimme versagte Luisen, die Glieder zitterten, vom Sopha konnte sie sich nicht erheben. Da öffnete sich die Thüre, und ein schönes Gesicht schob sich durch die Spalte, eine schöne Figur kam nach, und leibhaftig stand Notar Stößli vor Luise, verbeugte sich zierlich und fragte, womit er dienen könne, oder ob er etwa ungelegen komme? Nein, hauchte Luise, that einen tiefen Athemzug, zeigte auf einen Stuhl und sagte endlich: Ihr seht, ich bin krank! Mit schönen Redensarten drückte der Notar sein Bedauern aus und begann zu vermuthen, warum er gerufen worden. Ich weiß nicht, wie lange ich noch lebe, hauchte Luise und Herr Stößli mußte sich ganz nahe setzen, um zu verstehen, was Luise hauchte. Es wäre mir eine Erleichterung, wenn ich wüßte, in welche Hände mein kleines Vermögen käme, nahe Verwandte habe ich nicht. Aber ich weiß nicht, wie dieses machen, ich habe mein Lebtag kein Testament gesehen und weiß nicht, wie eins aussieht. Da habe ich

Compliment vermelden, und morgen solle er kommen, wenn er könne. Louise protestirte umsonst. Es werde schon bessern, sagte sie, es sei nur vorübergehend u. s. w. Die Tante bezeugte das Gegentheil und vertiefte sich so in das Thema, daß es Luise katzangst wurde, die Tante vergesse die Frau Seckelmeisterin und die Partie Boston, treffe mit Notar Stößli unter der Hausthüre zusammen und frage barsch: Was wollt Ihr hier? Nun, diese Angst ging glücklich vorüber, Tante segelte ab und zwar mit geschwellten Segeln; die Andern saßen sicher bereits hinter dem Spieltische, denn schon hatte es Ein Uhr geschlagen. Die Spendvögtin wußte, welches scharfe Gericht von Vorwürfen über solch unverantwortliche Verspätung sich ergoß. Kaum war diese Angst gehoben und die Tante verschwunden, kam Luise die Angst vor dem Erscheinen des Notars und zwar so heftig, daß sie zu ersticken meinte, und ihr sonst so stilles Herz polterte, als plumpste eine zweicentrige Köchin Tritt für Tritt eine hölzerne Treppe hinunter. Und wie das Herz am stärksten plumpste, klopfte es an der Thüre. Die Stimme versagte Luisen, die Glieder zitterten, vom Sopha konnte sie sich nicht erheben. Da öffnete sich die Thüre, und ein schönes Gesicht schob sich durch die Spalte, eine schöne Figur kam nach, und leibhaftig stand Notar Stößli vor Luise, verbeugte sich zierlich und fragte, womit er dienen könne, oder ob er etwa ungelegen komme? Nein, hauchte Luise, that einen tiefen Athemzug, zeigte auf einen Stuhl und sagte endlich: Ihr seht, ich bin krank! Mit schönen Redensarten drückte der Notar sein Bedauern aus und begann zu vermuthen, warum er gerufen worden. Ich weiß nicht, wie lange ich noch lebe, hauchte Luise und Herr Stößli mußte sich ganz nahe setzen, um zu verstehen, was Luise hauchte. Es wäre mir eine Erleichterung, wenn ich wüßte, in welche Hände mein kleines Vermögen käme, nahe Verwandte habe ich nicht. Aber ich weiß nicht, wie dieses machen, ich habe mein Lebtag kein Testament gesehen und weiß nicht, wie eins aussieht. Da habe ich

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[0032] Compliment vermelden, und morgen solle er kommen, wenn er könne. Louise protestirte umsonst. Es werde schon bessern, sagte sie, es sei nur vorübergehend u. s. w. Die Tante bezeugte das Gegentheil und vertiefte sich so in das Thema, daß es Luise katzangst wurde, die Tante vergesse die Frau Seckelmeisterin und die Partie Boston, treffe mit Notar Stößli unter der Hausthüre zusammen und frage barsch: Was wollt Ihr hier? Nun, diese Angst ging glücklich vorüber, Tante segelte ab und zwar mit geschwellten Segeln; die Andern saßen sicher bereits hinter dem Spieltische, denn schon hatte es Ein Uhr geschlagen. Die Spendvögtin wußte, welches scharfe Gericht von Vorwürfen über solch unverantwortliche Verspätung sich ergoß. Kaum war diese Angst gehoben und die Tante verschwunden, kam Luise die Angst vor dem Erscheinen des Notars und zwar so heftig, daß sie zu ersticken meinte, und ihr sonst so stilles Herz polterte, als plumpste eine zweicentrige Köchin Tritt für Tritt eine hölzerne Treppe hinunter. Und wie das Herz am stärksten plumpste, klopfte es an der Thüre. Die Stimme versagte Luisen, die Glieder zitterten, vom Sopha konnte sie sich nicht erheben. Da öffnete sich die Thüre, und ein schönes Gesicht schob sich durch die Spalte, eine schöne Figur kam nach, und leibhaftig stand Notar Stößli vor Luise, verbeugte sich zierlich und fragte, womit er dienen könne, oder ob er etwa ungelegen komme? Nein, hauchte Luise, that einen tiefen Athemzug, zeigte auf einen Stuhl und sagte endlich: Ihr seht, ich bin krank! Mit schönen Redensarten drückte der Notar sein Bedauern aus und begann zu vermuthen, warum er gerufen worden. Ich weiß nicht, wie lange ich noch lebe, hauchte Luise und Herr Stößli mußte sich ganz nahe setzen, um zu verstehen, was Luise hauchte. Es wäre mir eine Erleichterung, wenn ich wüßte, in welche Hände mein kleines Vermögen käme, nahe Verwandte habe ich nicht. Aber ich weiß nicht, wie dieses machen, ich habe mein Lebtag kein Testament gesehen und weiß nicht, wie eins aussieht. Da habe ich

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T09:45:11Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T09:45:11Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Der Notar in der Falle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–43. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_notar_1910/32>, abgerufen am 29.03.2024.