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Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842.

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der Menschen. Der Jammer aber ward alle Tage
größer, denn schneller, giftiger als das frühere Mal war
die Spinne jetzt. Bald war sie zu vorderst, bald zu
hinderst in der Gemeinde, auf den Bergen, im Thale
erschien sie zu gleicher Zeit. Wie sie früher meist hier
Einen, dort Einen gezeichnet hatte zum Tode, so ver¬
ließ sie jetzt selten ein Haus, ehe sie Alle vergiftet; erst
wenn Alle im Tode sich wanden, setzte sie sich auf die
Schwelle und glotzte schadenfroh in die Vergiftung, als
ob sie sagen wollte: sie sei es und sei doch wieder da,
wie lange man sie auch eingesperrt.

"Es schien als ob sie wüßte, ihr sei wenig Zeit
vergönnt, oder als ob sie sich viele Mühe sparen wollte,
sie that, wo sie konnte, Viele auf einmal ab. Darum
lauerte sie am liebsten auf die Züge, welche die Todten
zur Kirche geleiten wollten. Bald hier, bald dort, am
liebsten unten am Kilchstalden, tauchte sie mitten in den
Haufen auf, oder glotzte plötzlich vom Sarge herab auf
die Begleitenden. Da fuhr dann ein schreckliches Weh¬
geschrei aus dem begleitenden Zuge zum Himmel auf,
Mann um Mann fiel nieder, bis der ganze Zug der
Begleitenden am Wege lag und rang mit dem Tode;
bis kein Leben mehr unter ihnen war, und um den
Sarg ein Haufen Todte lag, wie tapfere Krieger um
ihre Fahne liegen, von der Uebermacht erfaßt. Da
wurden keine Todten mehr zur Kirche gebracht, Nie¬
mand wollte sie tragen, Niemand geleiten, wo der Tod
sie streckte, da ließ man sie liegen.

"Verzweiflung lag überem ganzen Thale. Wuth
kochte in allen Herzen, strömte in schrecklichen Verwün¬
schungen gegen den armen Christen aus; an Allem
sollte jetzt er Schuld sein.

der Menſchen. Der Jammer aber ward alle Tage
größer, denn ſchneller, giftiger als das frühere Mal war
die Spinne jetzt. Bald war ſie zu vorderſt, bald zu
hinderſt in der Gemeinde, auf den Bergen, im Thale
erſchien ſie zu gleicher Zeit. Wie ſie früher meiſt hier
Einen, dort Einen gezeichnet hatte zum Tode, ſo ver¬
ließ ſie jetzt ſelten ein Haus, ehe ſie Alle vergiftet; erſt
wenn Alle im Tode ſich wanden, ſetzte ſie ſich auf die
Schwelle und glotzte ſchadenfroh in die Vergiftung, als
ob ſie ſagen wollte: ſie ſei es und ſei doch wieder da,
wie lange man ſie auch eingeſperrt.

„Es ſchien als ob ſie wüßte, ihr ſei wenig Zeit
vergönnt, oder als ob ſie ſich viele Mühe ſparen wollte,
ſie that, wo ſie konnte, Viele auf einmal ab. Darum
lauerte ſie am liebſten auf die Züge, welche die Todten
zur Kirche geleiten wollten. Bald hier, bald dort, am
liebſten unten am Kilchſtalden, tauchte ſie mitten in den
Haufen auf, oder glotzte plötzlich vom Sarge herab auf
die Begleitenden. Da fuhr dann ein ſchreckliches Weh¬
geſchrei aus dem begleitenden Zuge zum Himmel auf,
Mann um Mann fiel nieder, bis der ganze Zug der
Begleitenden am Wege lag und rang mit dem Tode;
bis kein Leben mehr unter ihnen war, und um den
Sarg ein Haufen Todte lag, wie tapfere Krieger um
ihre Fahne liegen, von der Uebermacht erfaßt. Da
wurden keine Todten mehr zur Kirche gebracht, Nie¬
mand wollte ſie tragen, Niemand geleiten, wo der Tod
ſie ſtreckte, da ließ man ſie liegen.

„Verzweiflung lag überem ganzen Thale. Wuth
kochte in allen Herzen, ſtrömte in ſchrecklichen Verwün¬
ſchungen gegen den armen Chriſten aus; an Allem
ſollte jetzt er Schuld ſein.

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[101/0111] der Menſchen. Der Jammer aber ward alle Tage größer, denn ſchneller, giftiger als das frühere Mal war die Spinne jetzt. Bald war ſie zu vorderſt, bald zu hinderſt in der Gemeinde, auf den Bergen, im Thale erſchien ſie zu gleicher Zeit. Wie ſie früher meiſt hier Einen, dort Einen gezeichnet hatte zum Tode, ſo ver¬ ließ ſie jetzt ſelten ein Haus, ehe ſie Alle vergiftet; erſt wenn Alle im Tode ſich wanden, ſetzte ſie ſich auf die Schwelle und glotzte ſchadenfroh in die Vergiftung, als ob ſie ſagen wollte: ſie ſei es und ſei doch wieder da, wie lange man ſie auch eingeſperrt. „Es ſchien als ob ſie wüßte, ihr ſei wenig Zeit vergönnt, oder als ob ſie ſich viele Mühe ſparen wollte, ſie that, wo ſie konnte, Viele auf einmal ab. Darum lauerte ſie am liebſten auf die Züge, welche die Todten zur Kirche geleiten wollten. Bald hier, bald dort, am liebſten unten am Kilchſtalden, tauchte ſie mitten in den Haufen auf, oder glotzte plötzlich vom Sarge herab auf die Begleitenden. Da fuhr dann ein ſchreckliches Weh¬ geſchrei aus dem begleitenden Zuge zum Himmel auf, Mann um Mann fiel nieder, bis der ganze Zug der Begleitenden am Wege lag und rang mit dem Tode; bis kein Leben mehr unter ihnen war, und um den Sarg ein Haufen Todte lag, wie tapfere Krieger um ihre Fahne liegen, von der Uebermacht erfaßt. Da wurden keine Todten mehr zur Kirche gebracht, Nie¬ mand wollte ſie tragen, Niemand geleiten, wo der Tod ſie ſtreckte, da ließ man ſie liegen. „Verzweiflung lag überem ganzen Thale. Wuth kochte in allen Herzen, ſtrömte in ſchrecklichen Verwün¬ ſchungen gegen den armen Chriſten aus; an Allem ſollte jetzt er Schuld ſein.

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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/111>, abgerufen am 21.11.2024.