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Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842.

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"Sei jetzt daran wahr, was da wolle, so könne
man viel daraus lernen, sagte der jüngere Götti, und
dazu hätten sie noch kurze Zeit gehabt, es dünke ihn,
er sei erst aus der Kirche gekommen."

"Sie sollten nicht zu viel sagen, sagte die Gro߬
mutter, sonst fange ihr Alter ihnen eine neue Geschichte
an, sie sollten jetzt auch einmal essen und trinken, es
sei ja eine Schande, wie Niemand esse und trinke. Es
solle doch nicht alles schlecht sein, sie hätten alles an¬
gewendet, so gut sie es verstanden."

Nun ward viel gegessen und viel getrunken und
zwischendurch gewechselt manche verständige Rede, bis
groß und golden am Himmel der Mond stund, die
Sterne aus ihren Kammern traten, zu mahnen die
Menschen, daß es Zeit sei, schlafen zu gehen in ihre
Kämmerlein.

Die Menschen sahen die geheimnißvollen Mahner
wohl, aber sie saßen da so heimelig und Jedem klopfte
es unheimlich unterm Brusttuch, wenn er ans Heim¬
gehn dachte, und wenn es schon Keiner sagte, so wollte
doch Keiner der Erste sein.

Endlich stund die Gotte auf und schickte mit zittern¬
dem Herzen zum Weggehen sich an, doch es fehlte ihr
an sicheren Begleitern nicht, und mit einander verließ
die ganze Gesellschaft das gastliche Haus mit vielem
Dank und guten Wünschen, trotz allen Bitten an Ein¬
zelne, an die Gesammtheit: doch noch länger zu bleiben,
es werde ja nicht finster.

Bald war es still ums Haus, bald auch still in
demselben. Friedlich lag es da, rein und schön glänzte
es in des Mondes Schein das Thal entlang, sorglich
und freundlich barg es brave Leute in süßem Schlum¬
mer, wie die schlummern, welche Gottesfurcht und gute

„Sei jetzt daran wahr, was da wolle, ſo könne
man viel daraus lernen, ſagte der jüngere Götti, und
dazu hätten ſie noch kurze Zeit gehabt, es dünke ihn,
er ſei erſt aus der Kirche gekommen.“

„Sie ſollten nicht zu viel ſagen, ſagte die Gro߬
mutter, ſonſt fange ihr Alter ihnen eine neue Geſchichte
an, ſie ſollten jetzt auch einmal eſſen und trinken, es
ſei ja eine Schande, wie Niemand eſſe und trinke. Es
ſolle doch nicht alles ſchlecht ſein, ſie hätten alles an¬
gewendet, ſo gut ſie es verſtanden.“

Nun ward viel gegeſſen und viel getrunken und
zwiſchendurch gewechſelt manche verſtändige Rede, bis
groß und golden am Himmel der Mond ſtund, die
Sterne aus ihren Kammern traten, zu mahnen die
Menſchen, daß es Zeit ſei, ſchlafen zu gehen in ihre
Kämmerlein.

Die Menſchen ſahen die geheimnißvollen Mahner
wohl, aber ſie ſaßen da ſo heimelig und Jedem klopfte
es unheimlich unterm Bruſttuch, wenn er ans Heim¬
gehn dachte, und wenn es ſchon Keiner ſagte, ſo wollte
doch Keiner der Erſte ſein.

Endlich ſtund die Gotte auf und ſchickte mit zittern¬
dem Herzen zum Weggehen ſich an, doch es fehlte ihr
an ſicheren Begleitern nicht, und mit einander verließ
die ganze Geſellſchaft das gaſtliche Haus mit vielem
Dank und guten Wünſchen, trotz allen Bitten an Ein¬
zelne, an die Geſammtheit: doch noch länger zu bleiben,
es werde ja nicht finſter.

Bald war es ſtill ums Haus, bald auch ſtill in
demſelben. Friedlich lag es da, rein und ſchön glänzte
es in des Mondes Schein das Thal entlang, ſorglich
und freundlich barg es brave Leute in ſüßem Schlum¬
mer, wie die ſchlummern, welche Gottesfurcht und gute

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[111/0121] „Sei jetzt daran wahr, was da wolle, ſo könne man viel daraus lernen, ſagte der jüngere Götti, und dazu hätten ſie noch kurze Zeit gehabt, es dünke ihn, er ſei erſt aus der Kirche gekommen.“ „Sie ſollten nicht zu viel ſagen, ſagte die Gro߬ mutter, ſonſt fange ihr Alter ihnen eine neue Geſchichte an, ſie ſollten jetzt auch einmal eſſen und trinken, es ſei ja eine Schande, wie Niemand eſſe und trinke. Es ſolle doch nicht alles ſchlecht ſein, ſie hätten alles an¬ gewendet, ſo gut ſie es verſtanden.“ Nun ward viel gegeſſen und viel getrunken und zwiſchendurch gewechſelt manche verſtändige Rede, bis groß und golden am Himmel der Mond ſtund, die Sterne aus ihren Kammern traten, zu mahnen die Menſchen, daß es Zeit ſei, ſchlafen zu gehen in ihre Kämmerlein. Die Menſchen ſahen die geheimnißvollen Mahner wohl, aber ſie ſaßen da ſo heimelig und Jedem klopfte es unheimlich unterm Bruſttuch, wenn er ans Heim¬ gehn dachte, und wenn es ſchon Keiner ſagte, ſo wollte doch Keiner der Erſte ſein. Endlich ſtund die Gotte auf und ſchickte mit zittern¬ dem Herzen zum Weggehen ſich an, doch es fehlte ihr an ſicheren Begleitern nicht, und mit einander verließ die ganze Geſellſchaft das gaſtliche Haus mit vielem Dank und guten Wünſchen, trotz allen Bitten an Ein¬ zelne, an die Geſammtheit: doch noch länger zu bleiben, es werde ja nicht finſter. Bald war es ſtill ums Haus, bald auch ſtill in demſelben. Friedlich lag es da, rein und ſchön glänzte es in des Mondes Schein das Thal entlang, ſorglich und freundlich barg es brave Leute in ſüßem Schlum¬ mer, wie die ſchlummern, welche Gottesfurcht und gute

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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/121>, abgerufen am 21.11.2024.