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Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842.

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ein Jetzt, Jetzt, wurde hörbar unter der lautlosen
Menge.

Da zerschlug in seiner Wuth der Strom sein eigen
Werk, schmetterte einen ungeheuren Baum an das
schwellende Dach; statt der Brücke borst das Dach und
verschwand unter der Brücke in den sich bäumenden
Wellen. Da ward der Durchgang den Wassern wieder
geöffnet, die Stimme wieder frei in der Menschen
Brust und aus jeder stieg ein freudiges Gottlob als
Opfergabe zu dem empor, der dem Verderben seine
Schranken setzet. Das Aergste hatte man erwartet, als
blinde Wuth sich selbst den Weg verlegte, da half Gott,
und die maßlose Wuth mußte die eigenen Zwecke selbst
zerstören.

Doch wenn auch diese Gefahr vorüber war, so
brachte jeder Augenblick eine neue; die Wasser nahmen
nicht ab, immer frische Tannen stürmten daher. Die
Brücke bebte ununterbrochen in den Holz- und Wasser¬
stößen. Die Post wagte sich nicht hinüber, nur die
verwegensten Menschen betraten sie. Die Nacht kam,
Wolken lagen am Himmel, deckten den Mond; aber
das Donnern der unsichtbaren Fluth erfüllte mit drei¬
fachem Grausen die Menschen. Zuweilen rissen die
Wolken auseinander, durch die Spalte warf der Mond
sein Licht auf die Wasserwüste, seine blassen Strahlen
erleuchteten Streifen des schauerlichen Bildes.

Dann sah man die Spitzen der Wogen wie Silber
funkeln, Tannen im Wasser sich bäumen oder wiegen,
riesigen Schlangen gleich, sah ganze Bäume sich heben,
ihre dunkeln Aeste strecken aus flimmerndem Wellen¬
schaum, ungeheuren Krakken ähnlich, die ihre Arme
ausbreiteten in den ungewohnten Wassern. Plötzlich
schloß die Spalte in den Wolken sich, das Licht schwand,

ein Jetzt, Jetzt, wurde hörbar unter der lautloſen
Menge.

Da zerſchlug in ſeiner Wuth der Strom ſein eigen
Werk, ſchmetterte einen ungeheuren Baum an das
ſchwellende Dach; ſtatt der Brücke borſt das Dach und
verſchwand unter der Brücke in den ſich bäumenden
Wellen. Da ward der Durchgang den Waſſern wieder
geöffnet, die Stimme wieder frei in der Menſchen
Bruſt und aus jeder ſtieg ein freudiges Gottlob als
Opfergabe zu dem empor, der dem Verderben ſeine
Schranken ſetzet. Das Aergſte hatte man erwartet, als
blinde Wuth ſich ſelbſt den Weg verlegte, da half Gott,
und die maßloſe Wuth mußte die eigenen Zwecke ſelbſt
zerſtören.

Doch wenn auch dieſe Gefahr vorüber war, ſo
brachte jeder Augenblick eine neue; die Waſſer nahmen
nicht ab, immer friſche Tannen ſtürmten daher. Die
Brücke bebte ununterbrochen in den Holz- und Waſſer¬
ſtößen. Die Poſt wagte ſich nicht hinüber, nur die
verwegenſten Menſchen betraten ſie. Die Nacht kam,
Wolken lagen am Himmel, deckten den Mond; aber
das Donnern der unſichtbaren Fluth erfüllte mit drei¬
fachem Grauſen die Menſchen. Zuweilen riſſen die
Wolken auseinander, durch die Spalte warf der Mond
ſein Licht auf die Waſſerwüſte, ſeine blaſſen Strahlen
erleuchteten Streifen des ſchauerlichen Bildes.

Dann ſah man die Spitzen der Wogen wie Silber
funkeln, Tannen im Waſſer ſich bäumen oder wiegen,
rieſigen Schlangen gleich, ſah ganze Bäume ſich heben,
ihre dunkeln Aeſte ſtrecken aus flimmerndem Wellen¬
ſchaum, ungeheuren Krakken ähnlich, die ihre Arme
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[120/0130] ein Jetzt, Jetzt, wurde hörbar unter der lautloſen Menge. Da zerſchlug in ſeiner Wuth der Strom ſein eigen Werk, ſchmetterte einen ungeheuren Baum an das ſchwellende Dach; ſtatt der Brücke borſt das Dach und verſchwand unter der Brücke in den ſich bäumenden Wellen. Da ward der Durchgang den Waſſern wieder geöffnet, die Stimme wieder frei in der Menſchen Bruſt und aus jeder ſtieg ein freudiges Gottlob als Opfergabe zu dem empor, der dem Verderben ſeine Schranken ſetzet. Das Aergſte hatte man erwartet, als blinde Wuth ſich ſelbſt den Weg verlegte, da half Gott, und die maßloſe Wuth mußte die eigenen Zwecke ſelbſt zerſtören. Doch wenn auch dieſe Gefahr vorüber war, ſo brachte jeder Augenblick eine neue; die Waſſer nahmen nicht ab, immer friſche Tannen ſtürmten daher. Die Brücke bebte ununterbrochen in den Holz- und Waſſer¬ ſtößen. Die Poſt wagte ſich nicht hinüber, nur die verwegenſten Menſchen betraten ſie. Die Nacht kam, Wolken lagen am Himmel, deckten den Mond; aber das Donnern der unſichtbaren Fluth erfüllte mit drei¬ fachem Grauſen die Menſchen. Zuweilen riſſen die Wolken auseinander, durch die Spalte warf der Mond ſein Licht auf die Waſſerwüſte, ſeine blaſſen Strahlen erleuchteten Streifen des ſchauerlichen Bildes. Dann ſah man die Spitzen der Wogen wie Silber funkeln, Tannen im Waſſer ſich bäumen oder wiegen, rieſigen Schlangen gleich, ſah ganze Bäume ſich heben, ihre dunkeln Aeſte ſtrecken aus flimmerndem Wellen¬ ſchaum, ungeheuren Krakken ähnlich, die ihre Arme ausbreiteten in den ungewohnten Waſſern. Plötzlich ſchloß die Spalte in den Wolken ſich, das Licht ſchwand,

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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/130>, abgerufen am 24.11.2024.