Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842.hundert Jahren stund das Schloß Brandis nicht auf "Aber wenn Einer nur ein Wort redete von diesen hundert Jahren ſtund das Schloß Brandis nicht auf „Aber wenn Einer nur ein Wort redete von dieſen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0134" n="124"/> hundert Jahren ſtund das Schloß Brandis nicht auf<lb/> der gleichen Stelle, ſondern auf dem ſteilen Hügel ober¬<lb/> halb, von wo man gar weit umher ſah im Lande und<lb/> hinein in ſo manchen Graben. Da hauſten die Frei¬<lb/> herren von Brandis von uralten Zeiten her, ein reiches<lb/> aber grimmiges Geſchlecht, ſicher vor Feinden wohnten<lb/> hinter ihrem Schilde ihre Angehörigen; aber was ihren<lb/> Herren in Sinn fiel, das thaten dieſe, und ſie mußten<lb/> es dulden, ohne Recht und ohne Klage. Der Zwing¬<lb/> herr, von dem ich erzählen will, war unter allen der<lb/> Grimmigſte, und ärger als das Vieh behandelte er ſeine<lb/> Leute. Er war grauſam reich, und doch thaten ihm<lb/> ſeine Leute nie genug, mußten für ihn jagen, fiſchen,<lb/> pflügen, holzen u. ſ. w., vielmehr als verbriefet war.<lb/> Aber er hatte die Gewalt, was frug er daher den Brie¬<lb/> fen nach. Weit und breit war ſein das Land. Da ſaß<lb/> er ganze Tage auf hohem Thurm und ſchaute übers<lb/> Land, ſchaute, wie man arbeitete für ihn, ſchaute nach<lb/> einer müßigen Hand. Wo er Einen läſſig ſah oder<lb/> matt, da ſprengte er auf fuchsrothem Hengſte an ihn<lb/> hin und züchtigte ihn auf unmenſchliche Weiſe, oder<lb/> geiſelte ihn Abends im Schloßhofe mit eigener Hand.<lb/> Je mehr Arbeit er forderte, um ſo weniger gab er<lb/> ihnen zu eſſen; wollten ſie bleiben bei der Kraft, ent¬<lb/> rinnen der Peitſche, ſo mußten ſie eſſen, was Weiber<lb/> und Kinder für ſich gepflanzet hatten, und Weiber und<lb/> Kinder mußten arbeiten, was ſonſt die Männer thaten.<lb/> Aber die hatten ſelten mehr einen Tag für ſich, und<lb/> doch waren ſie ihm dieſes Alles laut ihren pergamen¬<lb/> tenen Briefen nicht ſchuldig.</p><lb/> <p>„Aber wenn Einer nur ein Wort redete von dieſen<lb/> Briefen, oder daß ihm etwas nicht recht ſei, ſo ward<lb/> er ins Thurmloch geworfen und unter Kröten und<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [124/0134]
hundert Jahren ſtund das Schloß Brandis nicht auf
der gleichen Stelle, ſondern auf dem ſteilen Hügel ober¬
halb, von wo man gar weit umher ſah im Lande und
hinein in ſo manchen Graben. Da hauſten die Frei¬
herren von Brandis von uralten Zeiten her, ein reiches
aber grimmiges Geſchlecht, ſicher vor Feinden wohnten
hinter ihrem Schilde ihre Angehörigen; aber was ihren
Herren in Sinn fiel, das thaten dieſe, und ſie mußten
es dulden, ohne Recht und ohne Klage. Der Zwing¬
herr, von dem ich erzählen will, war unter allen der
Grimmigſte, und ärger als das Vieh behandelte er ſeine
Leute. Er war grauſam reich, und doch thaten ihm
ſeine Leute nie genug, mußten für ihn jagen, fiſchen,
pflügen, holzen u. ſ. w., vielmehr als verbriefet war.
Aber er hatte die Gewalt, was frug er daher den Brie¬
fen nach. Weit und breit war ſein das Land. Da ſaß
er ganze Tage auf hohem Thurm und ſchaute übers
Land, ſchaute, wie man arbeitete für ihn, ſchaute nach
einer müßigen Hand. Wo er Einen läſſig ſah oder
matt, da ſprengte er auf fuchsrothem Hengſte an ihn
hin und züchtigte ihn auf unmenſchliche Weiſe, oder
geiſelte ihn Abends im Schloßhofe mit eigener Hand.
Je mehr Arbeit er forderte, um ſo weniger gab er
ihnen zu eſſen; wollten ſie bleiben bei der Kraft, ent¬
rinnen der Peitſche, ſo mußten ſie eſſen, was Weiber
und Kinder für ſich gepflanzet hatten, und Weiber und
Kinder mußten arbeiten, was ſonſt die Männer thaten.
Aber die hatten ſelten mehr einen Tag für ſich, und
doch waren ſie ihm dieſes Alles laut ihren pergamen¬
tenen Briefen nicht ſchuldig.
„Aber wenn Einer nur ein Wort redete von dieſen
Briefen, oder daß ihm etwas nicht recht ſei, ſo ward
er ins Thurmloch geworfen und unter Kröten und
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