flatterten sie emsig herbei, vergaßen ihre kalten Füßchen, die sie vorhin durch herabhängendes Gefieder zu erwär¬ men gesucht hatten. Die Kinder freuten sich gar sehr, daß auch das gelbe Vögelein (ein Gilberich, Goldammer) wieder kommen werde, damit sie es recht beschauen könnten. Aber das kam nicht und immer nicht; die Kinder weinten fast vor Betrübniß. Sie wollten ab¬ solut von dem Großmütti wissen, warum gerade dieses Vögelchen nicht wiederkomme, ob es nicht auch hungrig gewesen, und wo es wohl möge hingeflogen sein? Das Großmütti, lange gedrängt von diesen Fragen, sagte endlich, es wolle ihnen erzählen, wer das Vögelchen eigentlich gewesen sei, warum es gekommen und wohin es geflogen, aber sie müßten hübsch stille sein und auf¬ merksam. Als die Kinder das mit großer Freude ver¬ sprachen, nahm die Großmutter noch eine Prise, fuhr mit verkehrter Hand unter der Nase durch und begann folgende Geschichte.
"Der liebe Gott hat gar viele tausend Engelein, und alle braucht er zu Lieb und Nutz der Menschen. Dieser Engelein hat er gar vieler Gattig, und manch¬ mal sieht so ein Engelein aus wie ein Mensch und manchmal wie ein Vögelein. So sind diese gelben Vö¬ gelein auch Engelein Gottes, und die sendet er im Winter her zu Lieb und Nutz den armen Leuten. Und da war einmal ein Mann, der hatte Frau und Kin¬ der; es waren gar arme Leute, sie hatten nichts, als was sie verdienten, und gar manchmal hatten sie nichts zu verdienen. Wenn es recht kalt war oder stark reg¬ nete, so schickte der Bauer, bei dem der Vater taunete, ihn nach Hause, dann machte er keinen Lohn und mußte daheim essen. Und der arme Vater mußte so viel an¬ schaffen, Kleider für die Kinder, Essen für alle, den
flatterten ſie emſig herbei, vergaßen ihre kalten Füßchen, die ſie vorhin durch herabhängendes Gefieder zu erwär¬ men geſucht hatten. Die Kinder freuten ſich gar ſehr, daß auch das gelbe Vögelein (ein Gilberich, Goldammer) wieder kommen werde, damit ſie es recht beſchauen könnten. Aber das kam nicht und immer nicht; die Kinder weinten faſt vor Betrübniß. Sie wollten ab¬ ſolut von dem Großmütti wiſſen, warum gerade dieſes Vögelchen nicht wiederkomme, ob es nicht auch hungrig geweſen, und wo es wohl möge hingeflogen ſein? Das Großmütti, lange gedrängt von dieſen Fragen, ſagte endlich, es wolle ihnen erzählen, wer das Vögelchen eigentlich geweſen ſei, warum es gekommen und wohin es geflogen, aber ſie müßten hübſch ſtille ſein und auf¬ merkſam. Als die Kinder das mit großer Freude ver¬ ſprachen, nahm die Großmutter noch eine Priſe, fuhr mit verkehrter Hand unter der Naſe durch und begann folgende Geſchichte.
„Der liebe Gott hat gar viele tauſend Engelein, und alle braucht er zu Lieb und Nutz der Menſchen. Dieſer Engelein hat er gar vieler Gattig, und manch¬ mal ſieht ſo ein Engelein aus wie ein Menſch und manchmal wie ein Vögelein. So ſind dieſe gelben Vö¬ gelein auch Engelein Gottes, und die ſendet er im Winter her zu Lieb und Nutz den armen Leuten. Und da war einmal ein Mann, der hatte Frau und Kin¬ der; es waren gar arme Leute, ſie hatten nichts, als was ſie verdienten, und gar manchmal hatten ſie nichts zu verdienen. Wenn es recht kalt war oder ſtark reg¬ nete, ſo ſchickte der Bauer, bei dem der Vater taunete, ihn nach Hauſe, dann machte er keinen Lohn und mußte daheim eſſen. Und der arme Vater mußte ſo viel an¬ ſchaffen, Kleider für die Kinder, Eſſen für alle, den
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0148"n="138"/>
flatterten ſie emſig herbei, vergaßen ihre kalten Füßchen,<lb/>
die ſie vorhin durch herabhängendes Gefieder zu erwär¬<lb/>
men geſucht hatten. Die Kinder freuten ſich gar ſehr,<lb/>
daß auch das gelbe Vögelein (ein Gilberich, Goldammer)<lb/>
wieder kommen werde, damit ſie es recht beſchauen<lb/>
könnten. Aber das kam nicht und immer nicht; die<lb/>
Kinder weinten faſt vor Betrübniß. Sie wollten ab¬<lb/>ſolut von dem Großmütti wiſſen, warum gerade dieſes<lb/>
Vögelchen nicht wiederkomme, ob es nicht auch hungrig<lb/>
geweſen, und wo es wohl möge hingeflogen ſein? Das<lb/>
Großmütti, lange gedrängt von dieſen Fragen, ſagte<lb/>
endlich, es wolle ihnen erzählen, wer das Vögelchen<lb/>
eigentlich geweſen ſei, warum es gekommen und wohin<lb/>
es geflogen, aber ſie müßten hübſch ſtille ſein und auf¬<lb/>
merkſam. Als die Kinder das mit großer Freude ver¬<lb/>ſprachen, nahm die Großmutter noch eine Priſe, fuhr<lb/>
mit verkehrter Hand unter der Naſe durch und begann<lb/>
folgende Geſchichte.</p><lb/><p>„Der liebe Gott hat gar viele tauſend Engelein,<lb/>
und alle braucht er zu Lieb und Nutz der Menſchen.<lb/>
Dieſer Engelein hat er gar vieler Gattig, und manch¬<lb/>
mal ſieht ſo ein Engelein aus wie ein Menſch und<lb/>
manchmal wie ein Vögelein. So ſind dieſe gelben Vö¬<lb/>
gelein auch Engelein Gottes, und die ſendet er im<lb/>
Winter her zu Lieb und Nutz den armen Leuten. Und<lb/>
da war einmal ein Mann, der hatte Frau und Kin¬<lb/>
der; es waren gar arme Leute, ſie hatten nichts, als<lb/>
was ſie verdienten, und gar manchmal hatten ſie nichts<lb/>
zu verdienen. Wenn es recht kalt war oder ſtark reg¬<lb/>
nete, ſo ſchickte der Bauer, bei dem der Vater taunete,<lb/>
ihn nach Hauſe, dann machte er keinen Lohn und mußte<lb/>
daheim eſſen. Und der arme Vater mußte ſo viel an¬<lb/>ſchaffen, Kleider für die Kinder, Eſſen für alle, den<lb/></p></div></body></text></TEI>
[138/0148]
flatterten ſie emſig herbei, vergaßen ihre kalten Füßchen,
die ſie vorhin durch herabhängendes Gefieder zu erwär¬
men geſucht hatten. Die Kinder freuten ſich gar ſehr,
daß auch das gelbe Vögelein (ein Gilberich, Goldammer)
wieder kommen werde, damit ſie es recht beſchauen
könnten. Aber das kam nicht und immer nicht; die
Kinder weinten faſt vor Betrübniß. Sie wollten ab¬
ſolut von dem Großmütti wiſſen, warum gerade dieſes
Vögelchen nicht wiederkomme, ob es nicht auch hungrig
geweſen, und wo es wohl möge hingeflogen ſein? Das
Großmütti, lange gedrängt von dieſen Fragen, ſagte
endlich, es wolle ihnen erzählen, wer das Vögelchen
eigentlich geweſen ſei, warum es gekommen und wohin
es geflogen, aber ſie müßten hübſch ſtille ſein und auf¬
merkſam. Als die Kinder das mit großer Freude ver¬
ſprachen, nahm die Großmutter noch eine Priſe, fuhr
mit verkehrter Hand unter der Naſe durch und begann
folgende Geſchichte.
„Der liebe Gott hat gar viele tauſend Engelein,
und alle braucht er zu Lieb und Nutz der Menſchen.
Dieſer Engelein hat er gar vieler Gattig, und manch¬
mal ſieht ſo ein Engelein aus wie ein Menſch und
manchmal wie ein Vögelein. So ſind dieſe gelben Vö¬
gelein auch Engelein Gottes, und die ſendet er im
Winter her zu Lieb und Nutz den armen Leuten. Und
da war einmal ein Mann, der hatte Frau und Kin¬
der; es waren gar arme Leute, ſie hatten nichts, als
was ſie verdienten, und gar manchmal hatten ſie nichts
zu verdienen. Wenn es recht kalt war oder ſtark reg¬
nete, ſo ſchickte der Bauer, bei dem der Vater taunete,
ihn nach Hauſe, dann machte er keinen Lohn und mußte
daheim eſſen. Und der arme Vater mußte ſo viel an¬
ſchaffen, Kleider für die Kinder, Eſſen für alle, den
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/148>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.