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Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842.

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Nacht ihn nicht verlassen darf, wenn er Brod will und
Speise für den Winter.

"Wie sie da so rathlos weinten, Keiner den Andern
ansehen, in den Jammer des Andern sehen durfte, weil
der Seinige schon über ihm zusammenschlug, und keiner
heim durfte mit der Botschaft, keiner den Jammer heim
tragen mochte zu Weib und Kind, stund plötzlich vor
ihnen, sie wußten nicht woher, lang und dürr ein grü¬
ner Jägersmann. Auf dem kecken Baret schwankte eine
rothe Feder, im schwarzen Gesichte flammte ein rothes
Bärtchen, und zwischen der gebogenen Nase und dem
zugespitzten Kinn, fast unsichtbar, wie eine Höhle unter
überhangendem Gestein, öffnete sich ein Mund und frug:
"Was gibt es, ihr guten Leute, daß ihr da sitzet und
heulet, daß es Steine aus dem Boden sprengt und Aeste
ab den Bäumen?" Zweimal frug er also, und zweimal
erhielt er keine Antwort.

"Da ward noch schwärzer des Grünen schwarz Ge¬
sicht, noch röther das rothe Bärtchen, es schien darin
zu knistern und zu sprezeln, wie Feuer im Tannenholz;
wie ein Pfeil spitzte sich der Mund, dann that er sich
auseinander und frug ganz holdselig und mild: "Aber
ihr guten Leute, was hilft es euch, daß ihr da sitzet
und heulet? Ihr könnet da heulen bis es eine neue
Sündfluth gibt, oder euer Geschrei die Sterne aus dem
Himmel sprengt; aber damit wird euch wahrscheinlich
wenig geholfen sein. Wenn euch aber Leute fragen, was
ihr hättet, Leute, die es gut mit euch meinen, euch
vielleicht helfen könnten, so solltet ihr statt zu heulen,
antworten und ein vernünftig Wort reden, das hülfe
euch viel mehr." Da schüttelte ein alter Mann das
weiße Haupt und sprach: "Haltet es nicht für ungut,
aber das, worüber wir weinen, nimmt kein Jägersmann

Nacht ihn nicht verlaſſen darf, wenn er Brod will und
Speiſe für den Winter.

„Wie ſie da ſo rathlos weinten, Keiner den Andern
anſehen, in den Jammer des Andern ſehen durfte, weil
der Seinige ſchon über ihm zuſammenſchlug, und keiner
heim durfte mit der Botſchaft, keiner den Jammer heim
tragen mochte zu Weib und Kind, ſtund plötzlich vor
ihnen, ſie wußten nicht woher, lang und dürr ein grü¬
ner Jägersmann. Auf dem kecken Baret ſchwankte eine
rothe Feder, im ſchwarzen Geſichte flammte ein rothes
Bärtchen, und zwiſchen der gebogenen Naſe und dem
zugeſpitzten Kinn, faſt unſichtbar, wie eine Höhle unter
überhangendem Geſtein, öffnete ſich ein Mund und frug:
„Was gibt es, ihr guten Leute, daß ihr da ſitzet und
heulet, daß es Steine aus dem Boden ſprengt und Aeſte
ab den Bäumen?“ Zweimal frug er alſo, und zweimal
erhielt er keine Antwort.

„Da ward noch ſchwärzer des Grünen ſchwarz Ge¬
ſicht, noch röther das rothe Bärtchen, es ſchien darin
zu kniſtern und zu ſprezeln, wie Feuer im Tannenholz;
wie ein Pfeil ſpitzte ſich der Mund, dann that er ſich
auseinander und frug ganz holdſelig und mild: „Aber
ihr guten Leute, was hilft es euch, daß ihr da ſitzet
und heulet? Ihr könnet da heulen bis es eine neue
Sündfluth gibt, oder euer Geſchrei die Sterne aus dem
Himmel ſprengt; aber damit wird euch wahrſcheinlich
wenig geholfen ſein. Wenn euch aber Leute fragen, was
ihr hättet, Leute, die es gut mit euch meinen, euch
vielleicht helfen könnten, ſo ſolltet ihr ſtatt zu heulen,
antworten und ein vernünftig Wort reden, das hülfe
euch viel mehr.“ Da ſchüttelte ein alter Mann das
weiße Haupt und ſprach: „Haltet es nicht für ungut,
aber das, worüber wir weinen, nimmt kein Jägersmann

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[31/0041] Nacht ihn nicht verlaſſen darf, wenn er Brod will und Speiſe für den Winter. „Wie ſie da ſo rathlos weinten, Keiner den Andern anſehen, in den Jammer des Andern ſehen durfte, weil der Seinige ſchon über ihm zuſammenſchlug, und keiner heim durfte mit der Botſchaft, keiner den Jammer heim tragen mochte zu Weib und Kind, ſtund plötzlich vor ihnen, ſie wußten nicht woher, lang und dürr ein grü¬ ner Jägersmann. Auf dem kecken Baret ſchwankte eine rothe Feder, im ſchwarzen Geſichte flammte ein rothes Bärtchen, und zwiſchen der gebogenen Naſe und dem zugeſpitzten Kinn, faſt unſichtbar, wie eine Höhle unter überhangendem Geſtein, öffnete ſich ein Mund und frug: „Was gibt es, ihr guten Leute, daß ihr da ſitzet und heulet, daß es Steine aus dem Boden ſprengt und Aeſte ab den Bäumen?“ Zweimal frug er alſo, und zweimal erhielt er keine Antwort. „Da ward noch ſchwärzer des Grünen ſchwarz Ge¬ ſicht, noch röther das rothe Bärtchen, es ſchien darin zu kniſtern und zu ſprezeln, wie Feuer im Tannenholz; wie ein Pfeil ſpitzte ſich der Mund, dann that er ſich auseinander und frug ganz holdſelig und mild: „Aber ihr guten Leute, was hilft es euch, daß ihr da ſitzet und heulet? Ihr könnet da heulen bis es eine neue Sündfluth gibt, oder euer Geſchrei die Sterne aus dem Himmel ſprengt; aber damit wird euch wahrſcheinlich wenig geholfen ſein. Wenn euch aber Leute fragen, was ihr hättet, Leute, die es gut mit euch meinen, euch vielleicht helfen könnten, ſo ſolltet ihr ſtatt zu heulen, antworten und ein vernünftig Wort reden, das hülfe euch viel mehr.“ Da ſchüttelte ein alter Mann das weiße Haupt und ſprach: „Haltet es nicht für ungut, aber das, worüber wir weinen, nimmt kein Jägersmann

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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/41>, abgerufen am 21.11.2024.