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Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842.

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hatte er in der Hand, einen feurigen Bart im Gesichte,
und auf dem Hute schwankte glutroth eine Feder. So
sei der Zug gefahren hoch durch die Lüfte über alle
Egg weg, und schnell wie ein Augenblick. Solches sah
der Knabe, und Niemand that ihm was.

"Noch waren nicht drei Wochen vergangen, so stun¬
den neunzig Buchen auf Bärhegen, machten einen schö¬
nen Schattengang, denn alle schlugen üppig aus, keine
einzige verdorrte. Aber die Ritter und auch der von
Stoffeln ergingen sich nicht oft darin, es wehte sie alle¬
mal ein heimlich Grauen an; sie hätten von der Sache
lieber nichts mehr gewußt, aber Keiner machte ihr ein
Ende, es tröstete ein Jeder sich: fehle es, so trage der
Andere die Schuld.

"Den Bauern aber wohlete es mit jeder Buche,
welche oben war, denn mit jeder Buche wuchs die Hoff¬
nung, dem Herrn zu genügen, den Grünen zu betrü¬
gen; er hatte ja kein Unterpfand, und war die Hun¬
derteste einmal oben, was frugen sie dann dem Grünen
nach? Indessen waren sie der Sache noch nicht sicher;
alle Tage fürchteten sie, er spiele ihnen einen Schaber¬
nack und lasse sie im Stiche. Am Urbanustage brach¬
ten sie ihm die letzten Buchen an den Kilchstalden und
Alt und Jung schlief wenig in selber Nacht; man
konnte fast nicht glauben, daß er ohne Umstände und
ohne Kind oder Pfand die Arbeit vollende.

"Am folgenden Morgen, lange vor der Sonne,
waren Alt und Jung auf den Beinen, in Allen regte
sich die gleiche neugierige Angst; aber lange wagte sich
Keiner auf den Platz, wo die Buchen lagen; man
wußte nicht, lag dort eine Beize, für die, welche den
Grünen betrügen wollten.

hatte er in der Hand, einen feurigen Bart im Geſichte,
und auf dem Hute ſchwankte glutroth eine Feder. So
ſei der Zug gefahren hoch durch die Lüfte über alle
Egg weg, und ſchnell wie ein Augenblick. Solches ſah
der Knabe, und Niemand that ihm was.

„Noch waren nicht drei Wochen vergangen, ſo ſtun¬
den neunzig Buchen auf Bärhegen, machten einen ſchö¬
nen Schattengang, denn alle ſchlugen üppig aus, keine
einzige verdorrte. Aber die Ritter und auch der von
Stoffeln ergingen ſich nicht oft darin, es wehte ſie alle¬
mal ein heimlich Grauen an; ſie hätten von der Sache
lieber nichts mehr gewußt, aber Keiner machte ihr ein
Ende, es tröſtete ein Jeder ſich: fehle es, ſo trage der
Andere die Schuld.

„Den Bauern aber wohlete es mit jeder Buche,
welche oben war, denn mit jeder Buche wuchs die Hoff¬
nung, dem Herrn zu genügen, den Grünen zu betrü¬
gen; er hatte ja kein Unterpfand, und war die Hun¬
derteſte einmal oben, was frugen ſie dann dem Grünen
nach? Indeſſen waren ſie der Sache noch nicht ſicher;
alle Tage fürchteten ſie, er ſpiele ihnen einen Schaber¬
nack und laſſe ſie im Stiche. Am Urbanustage brach¬
ten ſie ihm die letzten Buchen an den Kilchſtalden und
Alt und Jung ſchlief wenig in ſelber Nacht; man
konnte faſt nicht glauben, daß er ohne Umſtände und
ohne Kind oder Pfand die Arbeit vollende.

„Am folgenden Morgen, lange vor der Sonne,
waren Alt und Jung auf den Beinen, in Allen regte
ſich die gleiche neugierige Angſt; aber lange wagte ſich
Keiner auf den Platz, wo die Buchen lagen; man
wußte nicht, lag dort eine Beize, für die, welche den
Grünen betrügen wollten.

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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/60>, abgerufen am 19.05.2024.