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Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842.

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ihren Boten brauchen, wußte nicht, ob es den Acker
finden, ob seine Beinchen dahin es tragen würden.
Aber das treue Bübchen sah, in welcher Angst die
Mutter war, und lief und fiel und stand wieder auf,
und die Katze jagte seine Kaninchen, Tauben und
Hühner liefen ihm um die Füße, stoßend und spielend
sprang sein Lamm ihm nach; aber das Bübchen sah
Alles nicht, ließ sich nicht säumen und richtete treulich
seine Botschaft aus.

"Athemlos erschien die Großmutter, aber der Mann
säumte; nur das Fuder solle er noch ausladen, hieß es.
Eine Ewigkeit verstrich, endlich kam er, und wiederum
verstrich eine Ewigkeit, endlich ging er langsam auf
den langen Weg, und in Todesangst fühlte das arme
Weib, wie ihre Stunde schneller und schneller nahte.

"Frohlockend hatte Christine draußen auf dem Acker
Allem zugesehen. Heiß brannte wohl die Sonne zu
der schweren Arbeit, aber die Spinne brannte fast gar
nicht mehr und leicht schien ihr der Gang in den näch¬
sten Stunden. Sie trieb fröhlich die Arbeit und eilte
mit dem Heimgehn nicht, wußte sie doch, wie langsam
der Bote war. Erst als die letzte Garbe geladen war,
und Windstöße das nahe Gewitter verkündeten, eilte
Christine ihrer Beute zu, die ihr gesichert war; so
meinte sie. Und als sie heimging, da winkte sie be¬
deutungsvoll manchem Begegnenden; sie nickten ihr zu,
trugen rasch die Botschaft heim; da schlotterte manches
Knie und manche Seele wollte beten in unwillkürli¬
cher Angst, aber sie konnte nicht.

"Drinnen im Stübchen wimmerte das arme Weib
und zu Ewigkeiten wurden die Minuten, und die
Großmutter vermochte den Jammer nicht zu stillen,
mit Beten und Trösten. Sie hatte das Stübchen wohl

ihren Boten brauchen, wußte nicht, ob es den Acker
finden, ob ſeine Beinchen dahin es tragen würden.
Aber das treue Bübchen ſah, in welcher Angſt die
Mutter war, und lief und fiel und ſtand wieder auf,
und die Katze jagte ſeine Kaninchen, Tauben und
Hühner liefen ihm um die Füße, ſtoßend und ſpielend
ſprang ſein Lamm ihm nach; aber das Bübchen ſah
Alles nicht, ließ ſich nicht ſäumen und richtete treulich
ſeine Botſchaft aus.

„Athemlos erſchien die Großmutter, aber der Mann
ſäumte; nur das Fuder ſolle er noch ausladen, hieß es.
Eine Ewigkeit verſtrich, endlich kam er, und wiederum
verſtrich eine Ewigkeit, endlich ging er langſam auf
den langen Weg, und in Todesangſt fühlte das arme
Weib, wie ihre Stunde ſchneller und ſchneller nahte.

„Frohlockend hatte Chriſtine draußen auf dem Acker
Allem zugeſehen. Heiß brannte wohl die Sonne zu
der ſchweren Arbeit, aber die Spinne brannte faſt gar
nicht mehr und leicht ſchien ihr der Gang in den näch¬
ſten Stunden. Sie trieb fröhlich die Arbeit und eilte
mit dem Heimgehn nicht, wußte ſie doch, wie langſam
der Bote war. Erſt als die letzte Garbe geladen war,
und Windſtöße das nahe Gewitter verkündeten, eilte
Chriſtine ihrer Beute zu, die ihr geſichert war; ſo
meinte ſie. Und als ſie heimging, da winkte ſie be¬
deutungsvoll manchem Begegnenden; ſie nickten ihr zu,
trugen raſch die Botſchaft heim; da ſchlotterte manches
Knie und manche Seele wollte beten in unwillkürli¬
cher Angſt, aber ſie konnte nicht.

„Drinnen im Stübchen wimmerte das arme Weib
und zu Ewigkeiten wurden die Minuten, und die
Großmutter vermochte den Jammer nicht zu ſtillen,
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[66/0076] ihren Boten brauchen, wußte nicht, ob es den Acker finden, ob ſeine Beinchen dahin es tragen würden. Aber das treue Bübchen ſah, in welcher Angſt die Mutter war, und lief und fiel und ſtand wieder auf, und die Katze jagte ſeine Kaninchen, Tauben und Hühner liefen ihm um die Füße, ſtoßend und ſpielend ſprang ſein Lamm ihm nach; aber das Bübchen ſah Alles nicht, ließ ſich nicht ſäumen und richtete treulich ſeine Botſchaft aus. „Athemlos erſchien die Großmutter, aber der Mann ſäumte; nur das Fuder ſolle er noch ausladen, hieß es. Eine Ewigkeit verſtrich, endlich kam er, und wiederum verſtrich eine Ewigkeit, endlich ging er langſam auf den langen Weg, und in Todesangſt fühlte das arme Weib, wie ihre Stunde ſchneller und ſchneller nahte. „Frohlockend hatte Chriſtine draußen auf dem Acker Allem zugeſehen. Heiß brannte wohl die Sonne zu der ſchweren Arbeit, aber die Spinne brannte faſt gar nicht mehr und leicht ſchien ihr der Gang in den näch¬ ſten Stunden. Sie trieb fröhlich die Arbeit und eilte mit dem Heimgehn nicht, wußte ſie doch, wie langſam der Bote war. Erſt als die letzte Garbe geladen war, und Windſtöße das nahe Gewitter verkündeten, eilte Chriſtine ihrer Beute zu, die ihr geſichert war; ſo meinte ſie. Und als ſie heimging, da winkte ſie be¬ deutungsvoll manchem Begegnenden; ſie nickten ihr zu, trugen raſch die Botſchaft heim; da ſchlotterte manches Knie und manche Seele wollte beten in unwillkürli¬ cher Angſt, aber ſie konnte nicht. „Drinnen im Stübchen wimmerte das arme Weib und zu Ewigkeiten wurden die Minuten, und die Großmutter vermochte den Jammer nicht zu ſtillen, mit Beten und Tröſten. Sie hatte das Stübchen wohl

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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/76>, abgerufen am 19.05.2024.