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Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842.

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Kilchstalden sie umzüngelten, schienen ihr fröhliche Lich¬
ter, der Donner ein zärtlich Grollen, ein lieblich Säu¬
seln der racheschnaubende Sturm.

"Hans, des armen Weibes Mann, hatte sein Ver¬
sprechen nur zu gut gehalten. Langsam war er seines
Weges gegangen, hatte bedächtig jeden Acker beschaut,
jedem Vogel nachgesehen, den Fischen im Bache abge¬
wartet, wie sie sprangen und Mücken fingen vor dem
eintretenden Gewitter. Dann juckte er vorwärts, rasche
Schritte that er, einen Ansatz zum Springen nahm er;
es war etwas in ihm, das ihn jagte, das ihm die
Haare auf dem Kopfe emportrieb; es war das Gewissen,
das ihm sagte, was ein Vater verdiene, der Weib und
Kind verrathe; es war die Liebe, die er doch noch hatte
zu seinem Weibe und seiner Leibesfrucht. Aber dann
hielt ihn wieder ein anderes, und das war stärker als
das erste, es war die Furcht vor den Menschen, die
Furcht vor dem Teufel und die Liebe zu dem, was
dieser ihm nehmen konnte. Dann ging er wieder lang¬
samer, langsam wie ein Mensch, der seinen letzten
Gang thut, der zu seiner Richtstätte geht. Vielleicht
war es auch so; weiß doch gar mancher Mensch nicht,
daß er den letzten Gang thut; wenn er es wüßte, er
thäte ihn nicht, oder anders.

"So war es spät geworden, ehe er auf Sumis¬
wald kam. Schwarze Wolken jagten über den Münne¬
berg her; schwere Tropfen fielen, versengten im Staube,
und dumpf begann das Glöcklein im Thurme die Men¬
schen zu mahnen, daß sie denken möchten an Gott und
ihn bitten, daß er sein Gewitter nicht zum Gerichte
werden lasse über sie. Vor seinem Hause stand der
Priester, zu jeglichem Gange gerüstet, damit er bereit
sei, wenn sein Herr, der über seinem Haupte daher

Kilchſtalden ſie umzüngelten, ſchienen ihr fröhliche Lich¬
ter, der Donner ein zärtlich Grollen, ein lieblich Säu¬
ſeln der racheſchnaubende Sturm.

„Hans, des armen Weibes Mann, hatte ſein Ver¬
ſprechen nur zu gut gehalten. Langſam war er ſeines
Weges gegangen, hatte bedächtig jeden Acker beſchaut,
jedem Vogel nachgeſehen, den Fiſchen im Bache abge¬
wartet, wie ſie ſprangen und Mücken fingen vor dem
eintretenden Gewitter. Dann juckte er vorwärts, raſche
Schritte that er, einen Anſatz zum Springen nahm er;
es war etwas in ihm, das ihn jagte, das ihm die
Haare auf dem Kopfe emportrieb; es war das Gewiſſen,
das ihm ſagte, was ein Vater verdiene, der Weib und
Kind verrathe; es war die Liebe, die er doch noch hatte
zu ſeinem Weibe und ſeiner Leibesfrucht. Aber dann
hielt ihn wieder ein anderes, und das war ſtärker als
das erſte, es war die Furcht vor den Menſchen, die
Furcht vor dem Teufel und die Liebe zu dem, was
dieſer ihm nehmen konnte. Dann ging er wieder lang¬
ſamer, langſam wie ein Menſch, der ſeinen letzten
Gang thut, der zu ſeiner Richtſtätte geht. Vielleicht
war es auch ſo; weiß doch gar mancher Menſch nicht,
daß er den letzten Gang thut; wenn er es wüßte, er
thäte ihn nicht, oder anders.

„So war es ſpät geworden, ehe er auf Sumis¬
wald kam. Schwarze Wolken jagten über den Münne¬
berg her; ſchwere Tropfen fielen, verſengten im Staube,
und dumpf begann das Glöcklein im Thurme die Men¬
ſchen zu mahnen, daß ſie denken möchten an Gott und
ihn bitten, daß er ſein Gewitter nicht zum Gerichte
werden laſſe über ſie. Vor ſeinem Hauſe ſtand der
Prieſter, zu jeglichem Gange gerüſtet, damit er bereit
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[68/0078] Kilchſtalden ſie umzüngelten, ſchienen ihr fröhliche Lich¬ ter, der Donner ein zärtlich Grollen, ein lieblich Säu¬ ſeln der racheſchnaubende Sturm. „Hans, des armen Weibes Mann, hatte ſein Ver¬ ſprechen nur zu gut gehalten. Langſam war er ſeines Weges gegangen, hatte bedächtig jeden Acker beſchaut, jedem Vogel nachgeſehen, den Fiſchen im Bache abge¬ wartet, wie ſie ſprangen und Mücken fingen vor dem eintretenden Gewitter. Dann juckte er vorwärts, raſche Schritte that er, einen Anſatz zum Springen nahm er; es war etwas in ihm, das ihn jagte, das ihm die Haare auf dem Kopfe emportrieb; es war das Gewiſſen, das ihm ſagte, was ein Vater verdiene, der Weib und Kind verrathe; es war die Liebe, die er doch noch hatte zu ſeinem Weibe und ſeiner Leibesfrucht. Aber dann hielt ihn wieder ein anderes, und das war ſtärker als das erſte, es war die Furcht vor den Menſchen, die Furcht vor dem Teufel und die Liebe zu dem, was dieſer ihm nehmen konnte. Dann ging er wieder lang¬ ſamer, langſam wie ein Menſch, der ſeinen letzten Gang thut, der zu ſeiner Richtſtätte geht. Vielleicht war es auch ſo; weiß doch gar mancher Menſch nicht, daß er den letzten Gang thut; wenn er es wüßte, er thäte ihn nicht, oder anders. „So war es ſpät geworden, ehe er auf Sumis¬ wald kam. Schwarze Wolken jagten über den Münne¬ berg her; ſchwere Tropfen fielen, verſengten im Staube, und dumpf begann das Glöcklein im Thurme die Men¬ ſchen zu mahnen, daß ſie denken möchten an Gott und ihn bitten, daß er ſein Gewitter nicht zum Gerichte werden laſſe über ſie. Vor ſeinem Hauſe ſtand der Prieſter, zu jeglichem Gange gerüſtet, damit er bereit ſei, wenn ſein Herr, der über ſeinem Haupte daher

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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/78>, abgerufen am 22.11.2024.