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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.

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und charakterisirt damit von vornherein das dichterische Kauderwälsch, pgo_131.002
das durch seine sonst talentvollen Dichtungen geht. Scherenberg streut pgo_131.003
die Fremdwörter in einzelnen Brocken in seine Verse, aber nur in den pgo_131.004
humoristischen Theilen des Werkes läßt sich diese absichtliche Sprachmengerei pgo_131.005
rechtfertigen.

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Was der ernsten Muse versagt ist, das gerade kommt der komischen pgo_131.007
zu Statten. Das mit Geschick angewendete Fremdwort ist ein Hauptträger pgo_131.008
der komischen Wirkung, und zwar nicht blos da, wo es die Sprachmengerei pgo_131.009
zu verspotten gilt, wie in Rachel's und Laurenberg's pgo_131.010
Satyren:

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Ein braver Kapitain, ein alter Freiersmann, pgo_131.012
Hub seinen Mengelmuß mit diesen Worten an: pgo_131.013
La Maeitre machet mir en facon der Franzosen pgo_131.014
Für gut contentement ein paar geraumer Hosen, pgo_131.015
Jch selber bin mir gram, mir knorrt der ganze Leib pgo_131.016
Daß ich jusqu' a present muß leben ohne Weib. pgo_131.017
Was hab' ich nicht gethan? Was hab' ich nicht erlitten, pgo_131.018
O Cloris, dein amour und Schönheit zu erbitten? pgo_131.019
Weil dein Eclat soweit die andern übergeht, pgo_131.020
Wie wenn ein Diamant bei einem Kiesel steht. pgo_131.021
Soleil de notre temps, o Auszug aller Tugend! pgo_131.022
O himmlischer Tresor! u. s. f.
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Rachel, der Poet.

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Die deutschen Dramatiker haben sich in den verschiedensten Epochen pgo_131.025
unserer Literatur diese komische Wirkung nicht entgehen lassen. Andreas pgo_131.026
Gryphius läßt in seinem "Horribilicribrifax" sowohl den Helden des pgo_131.027
Stückes, als seinen Gegner Daradiridatumdari das Französisch, Spanisch pgo_131.028
und Welsch durcheinander mischen, während der Schulmeister Sempronius pgo_131.029
Griechisch und Lateinisch im Uebermaaß in seine deutsche Rede pgo_131.030
wirkt; Lessing's Riccaut de la Marliniere radebrecht deutsch und französisch pgo_131.031
mit komischer Wirkung durcheinander und hat in der neuesten Zeit pgo_131.032
an Gutzkow's Königslieutenant Thorane einen Nachfolger gefunden, pgo_131.033
dessen Deutsch-Französisch stets einen leise komischen Anflug mit sich führt, pgo_131.034
aber dort, wo es ernstere sentimentale Wirkungen hervorrufen soll, gekünstelt pgo_131.035
erscheint.

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Einen ebenso undichterischen Eindruck, wie das Fremdwort, das pgo_131.037
unnöthigerweise angebracht wird, macht das deutsche Ersatzwort der

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das durch seine sonst talentvollen Dichtungen geht. Scherenberg streut pgo_131.003
die Fremdwörter in einzelnen Brocken in seine Verse, aber nur in den pgo_131.004
humoristischen Theilen des Werkes läßt sich diese absichtliche Sprachmengerei pgo_131.005
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Was der ernsten Muse versagt ist, das gerade kommt der komischen pgo_131.007
zu Statten. Das mit Geschick angewendete Fremdwort ist ein Hauptträger pgo_131.008
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zu verspotten gilt, wie in Rachel's und Laurenberg's pgo_131.010
Satyren:

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Ein braver Kapitain, ein alter Freiersmann, pgo_131.012
Hub seinen Mengelmuß mit diesen Worten an: pgo_131.013
La Maître machet mir en façon der Franzosen pgo_131.014
Für gut contentement ein paar geraumer Hosen, pgo_131.015
Jch selber bin mir gram, mir knorrt der ganze Leib pgo_131.016
Daß ich jusqu' à présent muß leben ohne Weib. pgo_131.017
Was hab' ich nicht gethan? Was hab' ich nicht erlitten, pgo_131.018
O Cloris, dein amour und Schönheit zu erbitten? pgo_131.019
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Rachel, der Poet.

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Die deutschen Dramatiker haben sich in den verschiedensten Epochen pgo_131.025
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Gryphius läßt in seinem „Horribilicribrifax“ sowohl den Helden des pgo_131.027
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und Welsch durcheinander mischen, während der Schulmeister Sempronius pgo_131.029
Griechisch und Lateinisch im Uebermaaß in seine deutsche Rede pgo_131.030
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mit komischer Wirkung durcheinander und hat in der neuesten Zeit pgo_131.032
an Gutzkow's Königslieutenant Thorane einen Nachfolger gefunden, pgo_131.033
dessen Deutsch-Französisch stets einen leise komischen Anflug mit sich führt, pgo_131.034
aber dort, wo es ernstere sentimentale Wirkungen hervorrufen soll, gekünstelt pgo_131.035
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Zitationshilfe: Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/153>, abgerufen am 21.11.2024.